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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Bauernproteste in Belgien

Bauern kippen Umweltschutz

Belgien: Regierung in Flandern stoppt Aufkauf von Schutzflächen und lockert Düngeregeln, Proteste in Wallonie gehen weiter
Von Gerrit Hoekman
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»Gesetz der Straße«: Autobahnblockade in Arendonk (Flandern), 2.2.2024

Seit neun Uhr morgens saßen die Minister der Regierung in Flandern am Donnerstag beieinander. Immer wieder wurden die vor der Tür wartenden Vertreter der flämischen Landwirte hereingebeten, um auf dem Tisch liegende Vorschläge zu prüfen. Kurz vor Mitternacht war die Kuh dann vom Eis. Die Bauern akzeptierten das Angebot der Regierung. In der Wallonie ging der Protest am Freitag jedoch weiter: Landwirte behinderten mit ihren Traktoren den Verkehr auf wichtigen Autobahnen. Auf der E40 von Lüttich nach Aachen etwa bildeten sich in beide Richtungen lange Schlangen.

Tagsüber hatten die Landwirte aus Flandern am Donnerstag den Hafen von Gent-Zeebrugge und ein Werk des multinationalen Stahlkonzerns Arcelor-Mittal blockiert, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. »Mit dem Messer an der Kehle verhandelten die Minister den ganzen Tag über verschiedene Agrardossiers«, schrieb die Tageszeitung Gazet van Antwerpen (GvA) am Freitag. Stundenlang seien die Gespräche bei der Frage steckengeblieben, ob der Staat und Naturschutzorganisationen Flächen aufkaufen dürfen, um sie der Landwirtschaft zu entziehen und für den Umweltschutz nutzbar zu machen. Nach Ansicht der Bauernverbände treibt das die Grundstückspreise in die Höhe.

Am Ende kam ein Kompromiss heraus. Die Regierung stoppt bis Oktober den Aufkauf von landwirtschaftlichen Flächen in sogenannten Natura-2000-Gebieten, die besonders geschützt werden sollen. Sie machen ungefähr zwölf Prozent der Gesamtfläche Flanderns aus. Mit ihrer Forderung, der Naturschutzorganisation Natuutpunt die Subventionen zu streichen, konnten sich die Landwirte allerdings nicht durchsetzen. Das Geld benutzt Natuurpunt unter anderem zum Kauf von Ackerland.

»Wir sind überhaupt nicht zufrieden«, kritisierte Jos Ramaekers, der Vorsitzende von Natuurpunt, am Freitag bei Radio 1 die Übereinkunft. »Man belohnt das Gesetz der Straße, weil die Landwirtschaft mit Traktoren die Straßen blockieren und die Wirtschaft lahmlegen kann.« In der Tat lassen sich schwere Landmaschinen nicht annähernd so leicht von der Straße ziehen wie etwa Klimaschützer, die sich auf dem Asphalt festkleben.

Ein zweiter wichtiger Punkt war ein neuer Gülleaktionsplan, mit dem der Zustand der Flüsse und Wasserstraßen in landwirtschaftlichen Regionen verbessert werden soll. In besonders belasteten Gebieten will die Regierung das Düngen mit Gülle komplett verbieten. Diese Planungen sind nun erst mal ausgesetzt. Die Landwirte klagen zudem ausdauernd über einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und unpraktikable Vorschriften. Die Vorgaben der »Kalenderlandwirtschaft«, mit denen Bauern verpflichtet werden, zu bestimmten Zeiten zu düngen und zu ernten, sollen laut Regierung gelockert werden. Bei Verstößen werden nicht mehr sofort hohe Geldstrafen verhängt.

Deutlich gelockert haben wollen viele Landwirte auch Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffemissionen. Dies liegt allerdings nicht in der Hand der flämischen Regierung. Jan Jambon, Premierminister von Flandern, versprach, das Anliegen bei der EU vorzubringen und auf eine Änderung der Stickstoffpolitik zu drängen. »Was unsere Befugnisse betrifft, haben wir unsere Aufgabe erfüllt«, stellte Jambon laut GvA auf einer Pressekonferenz fest. Ob sich die Landwirte damit zufriedengeben, ist fraglich. Viele hatten in den vergangenen Tagen angekündigt, ihre Aktionen fortzusetzen, bis die Stickstoffverordnung geändert wird.

Die Landwirte in der französischsprachigen Wallonie haben mit dem Abkommen von Antwerpen nichts zu tun. Sie setzten ihren Protest am Freitag fort. In der Region Lüttich wurden mehrere Autobahnen blockiert, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender RTBF. Pendler wurden aufgerufen, den Wagen stehenzulassen oder wenigstens Hauptstraßen zu meiden.

Der langandauernde Protest zeigt auch hier bereits Wirkung. Laut dem Bauernverband Fédération Wallonne de l’Agriculture (FWA) kündigten Discounter wie Lidl, Delhaize und Colruyt Anfang dieser Woche an, den Bauern bis zu 50 Cent mehr pro Kilogramm Rindfleisch zu bezahlen, also etwa 250 Euro pro Rind. Die FWA begrüßte die Ankündigung, fordert aber auch Preiserhöhungen für Eier, Milch und Milchprodukte.

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