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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 6 / Ausland
Flüchtlingspolitik

Bern setzt auf Abschreckung

Schweiz: Sekretariat für Migration stellt neue Statistik vor. Zahl der Abschiebungen gestiegen
Von Kim Nowak
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Im Ausschaffungsgefängnis am Flughafen Zürich sitzen »verurteilte Straftäter«, die in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden (28.6.2020)

Die Schweiz schiebt vermehrt Menschen in ihre Herkunftsländer ab. In der aktuellen Asylstatistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) heißt es, dass die Zahl der freiwilligen Ausreisen und der zwangsweisen Abschiebungen um ein Fünftel zum Vorjahr gestiegen sei. Während es 2022 etwa 11.500 Menschen waren, seien es im vergangenen Jahr offiziell um die 16.700 gewesen. Davon verließen etwa 13.000 die Schweiz freiwillig und kehrten in einen Dritt- oder ihren Heimatstaat zurück – die restlichen 3.750 Ausgewiesenen wurden unter Zwang abgeschoben. Die Mehrheit derer, die in den Heimatstaat zurückkehren, waren Ukrainer: Circa 11.000 kehrten dorthin zurück. Anders als beispielsweise Geflüchtete aus Syrien oder dem Irak genießen Ukrainer den Schutzstatus S. Personen mit diesem Status genießen eine größere Reisefreiheit. Sie können ungehindert ins Ausland reisen, wieder zurück in die Schweiz gehen und problemlos einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Ein Status also, von dem andere Geflüchtete nur träumen können.

Die meisten Ausreisepflichtigen kommen aus Algerien, der Türkei und Georgien, betont Reto Kormann, Mediensprecher des SEM, gegenüber dem Schweizer Rundfunk. An erster Stelle liegt dabei Algerien, in das knapp 500 Personen zurückkehren mussten. Mit dem nordafrikanischen Land habe man ein »Migrations- und Rückkehrabkommen«, das euphemistisch als »Migrationspartnerschaft« bezeichnet wird. Mit solchen Staaten müsse man »fortlaufend den Dialog pflegen«, um »das Vertrauen zu gewinnen«, so Kormann. Neben Algerien hat die Schweiz auch ein Abkommen mit dem Irak abgeschlossen, um dorthin Geflüchtete abzuschieben. Nach Ansicht der SEM scheint es sich dabei wohl um einen »sicheren Drittstaat« zu handeln – und das, obwohl das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) von Reisen in das Land abrät, besonders in die Region Kurdistan.

Neben »Kampfzonen« und »Entführungen« gebe es zwar keine Schweizer Vertretung vor Ort, aber Aktivitäten des »Islamischen Staats« in Mossul und anderen Provinzen. Während die eigene Bevölkerung gewarnt wird, gilt das für Ausreisepflichtige nicht. Gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA teilte das SEM mit, dass in den Irak (aber auch nach Algerien) im vergangenen Jahr »spezielle Ausschaffungsflüge« vollzogen wurden. Die meisten Geflüchteten würden aus »wirtschaftlichen Gründen« nach Europa und dann in die Schweiz kommen. Um das in Zukunft verstärkt zu verhindern, plant die Schweiz weitere Abkommen mit Staaten, aus denen weitere Geflüchtete erwartet werden könnten. Dass sich hinter »wirtschaftlichen Gründen« zumeist die Flucht vor Krieg und Zerstörung verbirgt, scheinen weder SEM noch das EDA in Betracht zu ziehen. Vielmehr sei man »stolz« auf die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Staaten.

Auch innerhalb Europas werden Personen abgeschoben. Im Rahmen des Dublin-Abkommens schob die Schweiz mehr als 2.000 Personen ab. Ein Großteil davon wurde nach Italien überstellt, obwohl das Land eigentlich seit Dezember 2022 das Abkommen ausgesetzt hat und keine Geflüchteten mehr annimmt. Die Schweiz verzeichnete daher dreimal mehr Ausreisen als Einreisen. Im vergangenen Jahr betrug das Verhältnis noch 2:1. Nach dem Wahlsieg der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) bei den Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023 ist wohl davon auszugehen, dass es auch in diesem Jahr vermehrt zu Abschiebungen kommen wird – ob freiwillig oder unter Zwang. Für dieses Jahr rechnet Bern jedenfalls mit etwa 30.000 neuen Asylanträgen. Zentral seien für das SEM die Entwicklung der »Migration aus der Türkei nach Griechenland und Bulgarien«, die Weiterwanderung von dort sowie die Migration von der Türkei nach Italien. Die Schweiz möchte für Geflüchtete jedenfalls unattraktiv werden. In Zeiten vermehrter Konflikte und Kriege bietet sie keine positiven Aussichten für Menschen, die vor Zerstörung und Elend fliehen müssen.

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