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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Kiew 2014

False-Flag-Aktion ukrainischer Faschisten

Schüsse in den Rücken: Indizien sprechen gegen Regierungsmassaker auf Kiewer Maidan 2014
Von Reinhard Lauterbach
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Wer die Menschen auf den Gedenkbildern wirklich getötet hat, soll keine Rolle spielen (Kiew, 30.3.2014)

Ende Januar 2014 schien sich der »Euromaidan« auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz totzulaufen. Der Platz und die auf ihn zulaufenden Straßen waren mit Militärzelten zugestellt, in denen finstere Gestalten mit Macheten im Gürtel schliefen. »Bitte um Spenden für Zigaretten und Munition«, schrieb die »Wolhynische Abteilung der Ukrainischen Aufstandsarmee« auf ein Pappschild vor ihrem Zelt. Die Waffen müssen sie damals also schon gehabt haben. Welche politischen Ziele sie hatten, wusste keiner der Befragten.

Wen man auf dem Boulevard Chreschtschatik traf, gehörte zum Fußvolk, rekrutiert für 20 US-Dollar am Tag unter westukrainischen Arbeitslosen. Die Fäden dahinter zogen mit Präsident Wiktor Janukowitsch um den Zugriff auf die Volkswirtschaft konkurrierende Oligarchen, die auch die Versorgung des Zeltlagers mit Essen und Brennholz sicherstellten. Gutbürgerliche Frauen aus der »Zivilgesellschaft« schmierten Brote und verteilten Suppe. Abends gingen sie wieder nach Hause. Die Polizei blieb merkwürdig passiv – es gab offensichtlich selbst in Janukowitschs Umgebung Sympathisanten der anderen Option. Im Januar hatte es heuchlerische Aufregung gegeben, als die Regierung ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot für Demonstrationen erließ, wie es in der BRD seit den 70er Jahren Standard ist und sowieso nie durchgesetzt wurde.

Mitte Februar begannen nahkampfgeschulte Aktivisten, Polizeisperren zwischen dem Maidan und dem Regierungsviertel mit Brandsätzen zu attackieren. Dabei wurden auch Mischungen mit Phosphor eingesetzt. Am Morgen des 20. Februar fielen dann gegen acht Uhr die ersten Schüsse. Sie trafen zuerst Polizisten, die rund um den Unabhängigkeitsplatz stationiert waren; es gab unter ihnen Tote und Verletzte. Die Schüsse kamen, wie sich inzwischen herausgestellt hat, aus mehreren Gebäuden, die von Maidan-Aktivisten kontrolliert wurden. Insbesondere dem Hotel »Ukraina«, wo sich die faschistische Swoboda-Partei einquartiert hatte, und dem daneben liegenden Konservatorium, das von Julija Timoschenkos »Vaterlandspartei« kontrolliert wurde.

In dem Durcheinander und der beginnenden Panik forderte die Regie auf der Bühne die Demonstranten auf, sich zum Regierungsviertel über die Institutska-Straße in Bewegung zu setzen. Hier wurden Dutzende von Demonstranten durch Schüsse getötet oder verletzt. Aber die Schusskanäle und die Art der Wunden deuteten schnell darauf hin, dass sie nicht von vorn – durch die hinter einer Kette von Lkw verschanzte – Polizei abgefeuert worden sein konnten, denn das ganze spielte sich im toten Winkel ab.

Vielmehr kam das Feuer wieder von hinten, wieder aus dem Hotel »Ukraina« und dem Konservatorium sowie dem Gewerkschaftshaus, wo der »Rechte Sektor« sein Hauptquartier hatte. Der ukrainisch-kanadische Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski hat das über Jahre aus Hunderten von mit Timecodes versehenen Videoberichten und anderen Quellen minutiös recherchiert. Er führt starke Indizien dafür an, dass auch westliche Politiker vorher von dem geplanten Sturm und dem Schusswaffengebrauch informiert waren. Die Täter wurden gedeckt und verschwanden spurlos, kein einziger Polizist ist bis heute verurteilt worden. Die offizielle Legende vom Janukowitsch-Massaker war offenbar sogar für die ukrainische Justiz nicht zu beweisen.

Aber die Fakten waren geschaffen. Janukowitsch floh, und der gesamte Westen erkannte das aus dem Maidan hervorgegangene Regime sofort an, obwohl drei EU-Außenminister – Frank-Walter Steinmeier, Radosław Sikorski und Laurent Fabius – noch einen Tag vor dem Massaker mit Janukowitsch einen vorzeitigen Amtsverzicht ausgehandelt hatten. Aber ein Kompromiss war von seiten der USA (»Fuck the EU«) und den ukrainischen Faschisten nicht mehr gewünscht.

Studie von Katchanovski: kurzelinks.de/Maidan

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  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (20. Februar 2024 um 09:32 Uhr)
    Der Artikel deckt sich mit dem, was bereits andere zuvor über die Toten vom Maidan herausgefunden und berichtet hatten. In einem Video, über die von hinten Erschossenen, zeigte man schräge Einschusslöcher in Bäumen. Nur aus einer erhöhten Position konnten die Schüsse abgegeben werden, die solche Einschusslöcher verursachen, nämlich dem dahinter befindlichen Hotel »Ukraina«. Folgender Hinweis: Am 18.02.2024 zeigte das ZDF die Doku: »Terra X History: Putins Blutspur (1) – Chronik eines Krieges«. Ab Minute 27:30 wird über Butscha gesagt und gezeigt, dass die Soldaten des faschistischen »Swoboda-Bataillons« zu den Ersten gehörten, die Butscha betraten. Zur Erinnerung: Russische Truppen hatten Butscha am 30.03.2022 verlassen. Erste Bilder aus Butscha, zeigten damals noch auf der Straße liegende Zivilisten, die ein weißes Band am Arm trugen. Die russischen Soldaten die Butscha zuvor verlassen hatten, trugen ebenfalls weiße Armbinden. Ein Erschossener, den man damals zeigte, hatte beide Hände mit einem weißen Band gefesselt. Alles Hinweise dafür, dass die Zivilisten von ukrainischen Faschisten ermordet wurden. Ein ukrainisches Video von damals zeigte auch ein gepanzertes Militärfahrzeug mit einem Zähne fletschenden Wolfskopf auf der Fahrertür, das Emblem der ukrainischen Sondereinheit, bzw. Sonderpolizei »Safari« in Butscha. Bereits am 28.03.2022 hieß es in dem Artikel »Selenskyj warnt vor Kollaboration mit Russen« bei Tagesschau.de: »Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Landsleute vor den Gefahren einer Kollaboration mit den russischen Besatzern gewarnt.« (Siehe: https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-montag-109.html#Selenskyj-warnt-vor-Kollaboration-mit-Russen)

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