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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 1 / Titel
Krieg gegen Gaza

Zeltstaat Palästina

Israel bereitet Militäroffensive im Süden des Gazastreifens vor. Ägypten lässt offenbar bereits Auffanglager bauen
Von Knut Mellenthin
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Von israelischer Seite vorgesehener Dauerzustand für mehr als eine Million Palästinenser (Rafah, 16.2.2024)

Israels rücksichtslose Kriegführung im Gazastreifen bringt seine engsten Verbündeten zunehmend in Schwierigkeiten. Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte am Freitag, die angekündigte und offenbar unmittelbar bevorstehende israelische Offensive gegen die Stadt Rafah im äußersten Süden der palästinensischen Enklave könne »zu einem beispiellosen humanitären Desaster« führen und »einen Wendepunkt in diesem Konflikt« darstellen. Er teile »die Befürchtungen Jordaniens und Ägyptens vor einer gewaltsamen und massiven Vertreibung der Bevölkerung«, fügte Macron an der Seite des jordanischen Königs Abdullah II. im Élysée-Palast hinzu. Die »katastrophalen Folgen« einer solchen Offensive könnten nicht hingenommen werden.

Angesichts der drohenden Massenvertreibung von 1,3 Millionen Menschen aus allen Teilen des Gazastreifens, die durch die israelische Kriegführung in Rafah und Umgebung zusammengetrieben wurden, haben sich mittlerweile mehrere westliche Staaten, darunter Kanada, Neuseeland und Australien, für eine »humanitäre Waffenruhe« ausgesprochen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz an, die 27 EU-Staaten zu einem gemeinsamen Appell an die israelische Regierung zusammenbringen zu wollen, die Angriffe auf Rafah einzustellen. US-Präsident Joseph Biden mahnte den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, vor dem Angriff auf Rafah »einen Plan zum Schutz der palästinensischen ­Zivilbevölkerung« auszuarbeiten. Sogar der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz forderte Israel mit ungewohntem Wagemut auf, bei dessen berechtigter »Selbstverteidigung« die Regeln des Völkerrechts nicht ganz aus den Augen zu verlieren.

Alle diese Worte, die nicht mit der Androhung praktischer Konsequenzen verbunden waren, werden aber nichts bewirken. Die Vertreibung der Bewohner des Gazastreifens in die arabischen Nachbarländer und die Erhöhung des Drucks auf die Bevölkerung der besetzten Westbank gehören zu den zentralen Kriegszielen Israels. Rafah, direkt an der Grenze zu Ägypten gelegen, ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie. Die Situation der geflüchteten und auf engstem Raum zusammengepferchten Palästinenser soll so unerträglich gemacht werden, dass sich Ägypten dem internationalen Druck, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen, nicht mehr mit Anstand entziehen kann.

Am Donnerstag berichtete die US-Tageszeitung The Wall Street Journal, die ägyptischen Behörden hätten damit begonnen, an der Grenze zum Gazastreifen eine Betonmauer zu errichten, die notfalls auch dazu dienen solle, ein Auffanglager für mehr als 100.000 palästinensische Flüchtlinge vom Rest des Landes abzuschirmen. Bereits im Oktober bekannt gewordene Pläne des israelischen Geheimdienstministeriums sehen die Errichtung von Zeltstädten für Hunderttausende Flüchtlinge im Norden der ägyptischen Sinaihalbinsel vor. Anfang dieser Woche hatte das Wall Street Journal behauptet, Israel wolle 15 Flüchtlingslager mit je 25.000 Zelten entlang der Küste des Gazastreifens errichten lassen, um die Flüchtlinge aus Rafah aufzunehmen. Verlässliche Informationen darüber gibt es bisher jedoch nicht. Die politische und militärische Führung Israels glaubt weiterhin, weder mit den Palästinensern noch mit der Welt kommunizieren zu müssen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. Februar 2024 um 11:19 Uhr)
    Ergänzend zum Artikel: Schlepper nutzen die Verzweiflung aus. Im Herbst verlangten Schlepper nur noch wenige hundert Dollar für ihre Dienste. Doch mit der zunehmenden Verzweiflung im Gazastreifen steigt die Zahl der Palästinenser, die fliehen wollen. Nun müssen sie mehrere tausend Dollar auf den Tisch legen. Selbst für Kinder, die früher kostenlos reisten, entstehen nun Kosten. Die Preisspanne reicht von 4500 bis 10 000 Dollar pro Person, was für eine Familie bis zu 30 000 Dollar ausmacht – ein Vermögen in einer Region, in der schon vor dem Krieg mehr als 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten. In Ägypten gibt es zahlreiche Vermittler, doch in den vergangenen Jahren hat sich Hala Consulting and Tourism Services in Rafah als Marktführer etabliert. Hala ist Teil der Firmengruppe von Ibrahim al-Organi, einem Stammeschef und Geschäftsmann aus dem Nord-Sinai. Organi ist in nahezu allen wichtigen Sektoren tätig: Export und Import, Bau, Bergbau, Immobilien, Sicherheit und Tourismus. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und Recherchen unabhängiger ägyptischer Medien unterhält er enge Beziehungen zum ägyptischen Sicherheitsapparat. In Gaza sind sich viele einig, dass ein Teil des Geldes, das sie an Hala zahlen, als Schmiergeld an korrupte Beamte fließt. Regierungsvertreter in Kairo bestreiten dies energisch. Sie fordern die Palästinenser auf, Vorfälle zu melden, versichern jedoch, dass gegen die Übeltäter vorgegangen werde. Doch wer möchte schon sein eigenes Einreiserisiko eingehen? Derzeit nimmt Hala auf ihrer Website keine neuen Reservierungen mehr an, da die Nachfrage offenbar so groß ist, dass der Vermittler nicht mehr hinterherkommt.

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