Rutte will doch führen
Von Gerrit HoekmanAls Mark Rutte im vergangenen Juli als niederländischer Premier zurücktrat, sagte er im Brustton der Überzeugung, er strebe hundertprozentig kein politisches Amt mehr an. Nur ein halbes Jahr später – noch immer kommissarisch im Amt – wird er als ein heißer Kandidat für die Nachfolge von Jens Stoltenberg als NATO-Generalsekretär gehandelt. Es hätte einen auch gewundert, wenn der eingefleischte Junggeselle mit gerade mal 57 Jahren die Hände in den Schoß gelegt hätte.
Am Donnerstag trafen sich die 31 Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedstaaten in Brüssel. Es gab einiges zu bereden. Die Ankündigung von Donald Trump, er werde als Präsident nur noch Staaten schützen, die sich ausreichend am Militärhaushalt des Bündnisses beteiligen, sorgt in den europäischen Hauptstädten für aufgeregtes Entsetzen. Am Rande des Treffens wurde sicher auch darüber gesprochen, wer die Nachfolge des offiziell zum 1. Oktober ausscheidenden Generalsekretärs Stoltenberg antreten soll.
Immer mehr Staaten favorisieren anscheinend Rutte. »Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass Premierminister Rutte (…) Interesse bekundet hat«, sagte die US-Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. »Das ist also jemand, den die Allianz im Auge hat. Aber es ist ein laufender Prozess.« Bis jetzt soll er der einzige Kandidat sein. Gelegentlich werden auch die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas und der lettische Außenminister Krišjānis Kariņš ins Spiel gebracht.
Ein paar Hindernisse muss Rutte aber noch aus dem Weg räumen. Die Türkei zum Beispiel befürworte zwar grundsätzlich seine Kandidatur, verlange aber die Zusicherung, dass der Niederländer keine EU-Staaten bevorzugen wird, vor allem nicht Zypern und Griechenland, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag. Die USA wollen das Auswahlverfahren bis spätestens Ende März beenden; der neue Generalsekretär soll bereits im April ernannt werden.
Sollte die Wahl auf Rutte fallen, hätten die Niederlande ein Problem. Im Moment ist Rutte nach wie vor niederländischer Premierminister, bis eine neue Regierung vereidigt ist. Sollte die NATO ihn rufen, würde er sein Amt wahrscheinlich zur Verfügung stellen. Es bräuchte dann also eine andere Person, die kommissarisch die Regierungsgeschäfte übernimmt. Denn dass Wahlsieger Geert Wilders bis Anfang April eine regierungsfähige Koalition auf die Beine stellt, ist nicht völlig ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich.
Am Mittwoch debattierte die Tweede Kamer, das niederländische Parlament, über den Abschlussbericht des Informateurs Ronald Plasterk, der wochenlang vergeblich versucht hatte, zwischen Wilders, der rechtsliberalen VVD von Dilan Yeşilgöz, dem konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC) von Pieter Omtzigt und der Boer Burger Beweging (BBB) von Caroline van der Plas zu vermitteln. Nun soll der Sozialdemokrat Kim Putters als neuer Informateur frischen Wind in die Verhandlungen bringen. Er ist der dritte, der sich daran versucht, den Knoten durchzuschlagen. Putters beginnt bei null. Das heißt, er wird wieder bei allen Parteien vorstellig werden, in der Hoffnung, es könnten sich vielleicht andere Konstellationen ergeben. »Das kann genau die Brechstange sein«, sagte Wilders am Mittwoch in seiner Rede im Parlament.
Die gemeinsame Liste aus Groenlinks und der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid mit ihrem Spitzenkandidaten Frans Timmermans hält das Prozedere für Zeitverschwendung. Am Ende werde es wieder auf die vier Parteien hinauslaufen, die sich in den vergangenen Wochen schon nicht einigen konnten. Die rechtsliberale Spitzenkandidatin Yeşilgöz sagte in der Debatte am Mittwoch, sie bevorzuge inzwischen ein außerparlamentarisches Kabinett, in dem neben Mitgliedern der Parteien auch Personen von außerhalb der Tweede Kamer sitzen.
Omtzigt, der die Koalitionsgespräche vergangene Woche platzen ließ, betonte, die Unterschiede zwischen ihm und Wilders seien einfach zu groß, um gemeinsam in See zu stechen. Der rechte Wahlsieger bekräftigte diese Woche, seine Meinung über den Islam habe sich nicht geändert: also keine Religion, sondern eine hasserfüllte, gewalttätige, totalitäre Ideologie. Aber als Regierungschef werde er Muslime genauso behandeln wie andere Niederländer auch: »Sie dürfen Moscheen besuchen, sie dürfen Korane haben, und wir finden das in Ordnung.« Ob er wirklich meint, was er sagt, steht auf einem anderen Blatt. Schließlich will er Premierminister werden.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.
Ähnliche:
- 19.08.2023
Drittes Kriegsjahr geplant
- 06.02.2023
Fernab der Front
- 17.05.2022
Brüssel rüstet auf
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Ein Querfrontagitator
vom 16.02.2024 -
Schüsse in Kansas
vom 16.02.2024 -
Angriffe auf Infrastruktur
vom 16.02.2024 -
Nie nichts gewusst
vom 16.02.2024 -
»Zeltstädte« für Palästinenser
vom 16.02.2024 -
Wut auf den Westen
vom 16.02.2024