4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 16.02.2024, Seite 2 / Inland
Vier Jahre nach dem Hanau-Anschlag

»Das sind keine Einzelfälle, das hat System«

Berlin: Migrantifa ruft für vierten Jahrestag des Hanau-Anschlags zum antirassistischen Kampftag auf. Ein Gespräch mit Aicha Jamal und Enisa Burkoviç
Interview: Marc Bebenroth
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Gerechtigkeit für die Opfer: Zahlreiche Teilnehmende versammeln sich auf dem Königsplatz in München am dritten Jahrestag des Anschlags von Hanau (19.2.2023)

Die Migrantifa in Berlin ruft für Montag, dem 19. Februar, zu einem »antirassistischen Kampftag« auf. Anlass ist der rechtsterroristische Anschlag von Hanau, der sich zum vierten Mal jährt. Damals waren Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov ermordet worden. Was ist das Ziel Ihres »Kampftages«?

Enisa Burkoviç: Wir mussten feststellen, dass die Namen der Betroffenen und Ermordeten von Anschlägen wie dem in Hanau in Vergessenheit geraten. Wir wollen dem etwas entgegenhalten und auch etwas dagegen tun, dass das Gedenken immer kleiner und liberal vereinnahmt wird. Menschen sollen nicht nur auf die Straße gehen, nachdem ein Anschlag begangen wurde. Es muss auch darum gekämpft werden, dass so was nicht noch mal passieren kann. Das sind keine Einzelfälle, das hat System in Deutschland.

Sind Ihnen die bundesweiten Großdemonstrationen gegen rechts mit Hunderttausenden Teilnehmenden nicht genug?

Aicha Jamal: Die sind uns tatsächlich nicht genug, weil sie sich nicht gegen die herrschende Ordnung richten. Im Gegenteil, die werden quasi als Wahlveranstaltungen für Parteien wie die SPD und die Grünen genutzt. Doch der Staat spielte eine wesentliche Rolle bei rechtsterroristischen Anschlägen wie dem in Hanau und bei vielen anderen seit den 1990ern.

Und wenn wir von den 1990ern reden, in denen sich rechtsextreme Anschläge häuften in der BRD, war das, nachdem die DDR annektiert wurde und es eine enorme Privatisierung von Gemeinschaftseigentum gegeben hatte, damit einhergehend eine drastische Verschlechterung der Lebensumstände der Menschen.

Diese Großdemonstration richten sich primär gegen die AfD. Welche Kontinuitäten sehen Sie zwischen Anschlägen wie dem von Hanau und der erklärten Politik dieser Partei?

A. J.: Sie macht faschistisches und rassistisches Gedankengut salonfähig. Die restlichen bürgerlichen Parteien gehen darauf ein und setzen AfD-Politik um, während sie sich über »Remigrationspläne« empören.

E. B.: Im äußerst rechten Flügel der AfD sind viele Menschen aus einer gewaltbereiten Szene organisiert. Und auch solche Menschen sind verantwortlich für viele Anschläge. Die ultrarechte Bewegung, die solche Anschläge plant, hat mit der AfD einen parlamentarischen Arm.

In mehreren Städten wurden beispielsweise palästinasolidarische Gruppen angegangen, sogar herausgedrängt. Wie können Sie sich das erklären?

A. J.: Die, die mehrheitlich dort auf die Straße gehen, halten die Abschiebepolitik für notwendig, sind aber gegen »Remigrationspläne«. Wenn man sich dann gegen das deutsche Staatsnarrativ ausspricht, wird man angegriffen. Das haben wir unter anderem bei den Genossinnen erlebt, die auf den Demonstrationen waren und auf Palästina aufmerksam machten. Die wurden bespuckt, verdrängt und mit Hilfe der Polizei von den Demos ausgeschlossen.

Ist Ihnen Ähnliches widerfahren?

A. J.: Wir als Gruppe erleben das schon lange, seit 2021, als wir zum ersten Mal federführend die »Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration« in Berlin organisiert und sie palästinasolidarisch aufgezogen hatten. Aber für uns ist das kein Grund, einzuknicken oder unsere Position zu kompromittieren. Genau deswegen verstehen wir uns als linksradikale Gruppe. Wir hatten uns nach dem rassistischen Anschlag von Hanau gegründet. Schon bald haben wir in unserer Analyse erkannt, dass man Rassismus nicht besiegen kann, wenn man den Kapitalismus nicht besiegt. Denn Rassismus ist die Ideologie, die die untergeordnete Stellung von migrantischen Menschen in diesem System rechtfertigt.

Was wir alle selbst merken, ist, dass sich das Leben in diesem System immer schwieriger bewerkstelligen lässt. Nicht nur, weil die Löhne durch die Inflation schrumpfen. Auch weil wir vor einer globalen Klimakatastrophe stehen, die vor allem junge Menschen sehr mitnimmt. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.

Aicha Jamal und Enisa Burkoviç sind aktiv bei »Migrantifa Berlin«

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