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Aus: Ausgabe vom 15.02.2024, Seite 16 / Sport
Rodeo

Wo die Mormonen wohnen

Bullenreiten in Salt Lake City, Utah
Von Maximilian Schäffer
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Trotz fehlender Tradition zeigte sich die Halle gut gefüllt, das Publikum züchtig enthusiastisch

Die Mormonen-Heuschrecke (»Mormon cricket«) ist eigentlich keine. Sie zählt zur Art der flügellosen Katydiden, ist also eher ein langfühleriger Grashüpfer. Dennoch, die meist lederroten, daumenfetten Viecher sind nicht nur recht unhübsch anzusehen, sie fressen auch alles, was ihnen in die Quere kommt. Bis zu 20 Kilogramm Grünzeug in einem 90tägigen Leben. Brigham Young, der Mormonenführer, bekam von Gott so einiges geflüstert. Daran glauben die Mitglieder der »Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage« nämlich: Gott spricht zu seinen Propheten und all ihren Schäfchen direkt in regelmäßiger, diviner Eingabe. So trifft man wichtige Entscheidungen. Zum Beispiel im Jahr 1847, als Young nach anderthalbjährigem Exodus ins Tal des Großen Salzsees von Utah spähte und wusste: »Haltet an! Dies ist der richtige Ort!« Bereits im nächsten Jahr kamen die »Heuschrecken«. Gott flüstert keine Plagen, er lässt sie die Menschen hautnah miterleben. Doch, oh Wunder, riesige Schwärme von Seemöwen fraßen das Ungeziefer und erretteten die Verkünder der frohen Botschaft Joseph Smiths vor dem erbärmlichen Hungertot.

Ein paar Lenze später, es war im Jahr 1978, steckte der Allmächtige seinem Apostelrat in Salt Lake City, dass sie alle endlich damit aufhören sollen, Menschen von dunkler Hautfarbe zu diskriminieren. Und schwupp, begab es sich, dass auch die schwarzen Mormonen, zumindest die männlichen, ab sofort das Priesteramt empfangen durften.

Heute ist Salt Lake City, mit gut 200.000 Einwohnern die Hauptstadt des Bundesstaats Utah, also relativ normal. Recht brav, recht langweilig, halbwegs wohlhabend und sehr weiß (ca. 63 Prozent der Bevölkerung). Wintersport und Segeln gehen hier gut, Saufen und Huren gehen eher schlecht. Sie suchen nach einem netten Vororthäuschen zwischen Bergen und Wüste, Colorado ist Ihnen zu schwul? Willkommen!

Wo die Mormonen schön wohnen, ließen die Glanzlichter der Viehzüchter sich zum Reiten geleiten. Die PBR (Professional Bull Riders), ihre Gauchos und Toros hielten Einzug ins Delta Center, wo normalerweise bis zu 18.000 Utahner das Basketballteam namens »Jazz« anfeuern. Nur ein kurzes Wochenende hielt sich der Rodeotreck im gelobten Land auf. Obwohl die Viehzucht hier wegen der trockenen Bodenverhältnisse den Großteil der landwirtschaftlichen Produktion ausmacht, sind Polygamie und Kirchenbau historisch beliebtere Freizeitaktivitäten als Lassowurf und Kälberringen. Trotz fehlender Tradition zeigte sich die Halle gut gefüllt, das Publikum züchtig enthusiastisch.

Gleich zu Beginn warb die PBR erneut mit ihren zwei pellfrischen Jungstars, den 18jährigen, sich freundschaftlich zugeneigten John Crimber und Clay Guiton. Heiter gackernd durfte man die Knaben im Backstage beobachten, in freudiger Erwartung auf die muskulösen Bullen. Tatsächlich lieferte Crimber erneut durchwegs solide Leistungen und landete auf Platz fünf. Während Guiton aber in der ersten Runde des Events einen durchaus beeindruckenden Ritt für 88,25 Punkte auf Blackstone zeigte, scheiterte er in der Hauptrunde am Rinderveteranen Ricky Vaughn. Ein bemerkenswertes Tier, bei dem vergangenes Jahr nach einer Computertomographie ein Abszess an der Hypophyse entdeckt wurde. Nach vorübergehender vollständiger Erblindung kämpfte sich Ricky Vaughn wieder zurück in die Arena und steht aktuell auf Nummer 35 der Weltrangliste.

Cassio Dias, der Weltranglistenerste bei den Menschen, überraschte mit einem Ausfall seiner sonst zuverlässig hohen Kontrolle über den Viehrücken, landete nach frustrierenden 3,45 Sekunden auf Snake Eyes auf Platz neun. Sieger wurde der 20jährige Koltin Hevalow aus Montana, der Dias nun als dritter der Gesamtwertung auf die Pelle rückt.

Fromm schwärmt der Viehzirkus aus der Stadt der Heiligen in die Stadt der Engel.

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