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Aus: Ausgabe vom 15.02.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energieversorgung

Österreich will unabhängig werden

Alpenrepublik bezieht fast 100 Prozent ihrer Gasimporte aus Russland. Ministerin will das radikal ändern
Von Knut Mellenthin
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Ein schwerwiegendes Hindernis für Gewesslers Vorhaben stellt der langfristige Liefervertrag zwischen dem österreichischen Konzern OMV und der russischen Gasprom dar

Österreich will den »Russengas-Anteil« seiner Importe senken, indem es den Großen dieser Branche, in die meist der Staat direkt involviert ist, eine »Diversifizierungsverpflichtung« auferlegt. Das verkündete die Grünen-Politikerin Leonore Gewessler am Montag und das las man am selben Tag auf der Website des von ihr repräsentierten Ministeriums der Alpenrepublik, das seinem langen Namen nach für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie zuständig ist.

In diesem Fall interessiert eindeutig der Punkt »Energie«: Gewessler, deren wendige und zu vielem bereite Partei das Land seit dem 6. Dezember 2021 in Koalition mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) regiert, die mit Karl Nehammer den Bundeskanzler stellt, zeichnet unter anderem auch für die Erdgasimporte aus Russland verantwortlich. Deren Anteil an der gesamten österreichischen Gaseinfuhr war einige Monate nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, im September 2022, ganz tief auf 21 Prozent gesunken, stieg dann aber steil wieder an und erreichte im Dezember des vergangenen Jahres einen Höchstwert von 98 Prozent. Die Österreicher mussten sich deswegen viele Vorwürfe anhören: Von »Blutgeld«, das man auf Kosten der Ukraine einkassiere, war die Rede, von »Putins nützlichen Idioten« und davon, dass Österreich »die Kriegskasse« des russischen Aggressors fülle.

Das konnte Gewessler selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen. Am Montag kündigte sie an, dass sie in den kommenden Wochen und Monaten mit einem Drei-Punkte-Plan dagegen angehen wolle. »Wenn die Gasversorger am liberalisierten Gasmarkt nicht aus eigenen Stücken tätig werden, braucht es gesetzliche Verpflichtungen« erklärte sie knallhart vor der Presse. Wer in Österreich Gas anbietet, das aus Russland kommt, soll künftig nachweisen müssen, dass er einen schrittweise Plan für den Ausstieg aus dieser Beziehung hat, die früher einmal als vernünftiges und ertragreiches Wirtschaften galt, aber spätestens seit dem 24. Februar 2022 als fatale Abhängigkeit verachtet wird, die man schleunigst loswerden muss.

Ganz schnell wird das dennoch nicht gehen, weiß die Ministerin. Der offizielle Text auf der Website ihrer Regierungsbehörde spricht zwar von einem »Maßnahmenpaket«, das aber noch nicht mit Inhalt gefüllt zu sein scheint und nur aus »Vorschlägen« besteht. Gewessler will die österreichischen Energieunternehmen, in denen, wie gesagt, der Staat entscheidende Worte mitzusprechen hat, durch eine Neufassung des Gaswirtschaftsgesetzes zu nachgewiesenen Umstellungen verpflichten, damit die angestrebte Abwendung von Russland »als größter einzelner Bezugsquelle« für Erdgas »jederzeit durch andere Lieferverträge kompensiert werden« kann. Um das Gesetz wunschgemäß zu ändern, ist aber eine »Verfassungsmehrheit im Parlament« erforderlich, mindestens zwei Drittel der Abgeordneten müssten zustimmen. Dazu sind 122 der 183 Stimmen im Nationalrat nötig. Über 97 Stimmen verfügt die Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen, die 15 Vertreter der liberalen Neos würde vermutlich mit ihnen gehen, die 31 Abgeordneten der rechtspopulistischen FPÖ voraussichtlich nicht. Es käme auf die 40 Stimmen der SPÖ an, die Einwände gegen einen zu forschen Totalausstieg aus den russischen Energieimporten hat.

Ein schwerwiegendes Hindernis für Gewesslers Vorhaben stellt der langfristige Liefervertrag zwischen dem österreichischen Konzern OMV und der russischen Gasprom dar, der 2018 bis zum Jahr 2040 verlängert wurde. Er sichert der österreichischen Seite vorteilhafte Bedingungen, schließt aber die Verpflichtung zur regelmäßigen Abnahme einer bestimmten Menge von russischem Erdgas ein. Die Überlegungen im Energieministerium gehen dahin, Russland wegen einer Unterbrechung der Lieferungen im Jahre 2022 eine Vertragsverletzung vorzuwerfen und sich durch eine Klage, vielleicht beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag, aus den Vereinbarungen herauszuwinden.

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