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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 11 / Feuilleton
Folk

»Hey, der Typ kommt nicht zurück«

Über Liebe und das Rebellische des Rock ’n’ Roll. Ein Gespräch mit Israel Nash
Von Frank Schwarzberg
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Israel Nash: »Ja, dieser Typ, sein Gesang, das ist wahrhaftig. Er bringt da so viel Seele hinein. Gram Parsons. Lou Reed!«

Allan Jones, englisches Musikkritikerurgestein, schrieb im Musikmagazin Uncut über Ihre aktuelle Platte »Ozarker«: »Dieses Album entrollt sich wie ein Banner auf dem Kampffeld, prächtig, ramponiert, trotzig, voll großer Refrains, raumgreifender Harmonien, ein unverschämt tosender Sound. Die Gitarren (...) fegen durch ›Can’t Stop‹ und ›Travel On‹ wie Sturmböen – alles auf ihrem Weg zermalmend.« Wie fühlt sich Feedback dieser Art an?

Ich habe Allan vor kurzem in London getroffen. Es macht Spaß, mit solchen Leuten zu sprechen. Die Engländer haben ja ihre eigene Art. Es sind Rock-’n’-Roll-Autoren. Sie zu lesen, das ist wie einen Spielfilm schauen. Besonders in meinem Alter, mit Anfang vierzig: Leute treffen, die Teil der Rock-’n’-Roll-Geschichte waren und teilweise bis heute sind. Damit meine ich nicht nur die Musik, sondern auch den Spirit, etwa das In-Frage-Stellen von Autoritäten. Manchmal denke ich, dieser Geist ist dem Rock ’n’ Roll komplett abhanden gekommen. In der Welt von heute brauchen wir mehr von diesem Verständnis, dass Rock ’n’ Roll das Gefühl einer Bewegung ausdrücken kann, die größer als wir einzelnen ist. Die Konzerne oder Regierungen in Frage stellt und die Menschen in den Mittelpunkt. The people are the ones.

Was »Ozarker« betrifft, da wollte ich eine Platte einspielen, die es Menschen leicht macht, Refrains wiederzuerkennen und gemeinsam zu singen. Diese Kraft von Rock ’n’ Roll, dieser Funke wie in den 60ern – wir brauchen mehr davon. Einen Refrain zusammen zu singen, verleiht so viel Kraft. Es ist die DNA des Menschseins, sie hat uns sagen lassen, hey, wir bilden eine neue Regierung, oder wir ändern jetzt diese Regel, oder wir ziehen weiter an einen neuen Ort. Dieser Antrieb ist zutiefst menschlich. Also wollte ich mit »Ozarker« auch Lieder schaffen, die sich straight und einfach anfühlen. Die Songs selbst sind aber komplex, es gibt viele Akkordwechsel, knifflige Bridges. Wenn du Texte singst, die ein bisschen direkter sind, oder die Songs in Richtung hymnischen Rock bewegst, besteht die Herausforderung für den Autor darin, sie vielschichtig zu gestalten. Also, da passiert viel in diesen Liedern, sie sind nicht einfach zu spielen, tonnenweise Akkorde. Ich wollte mich selbst herausfordern, zeigen, woher ich komme.

Die Ozarks, das ist die kleinstädtisch geprägte Gegend Missouris, aus der Sie kommen. Wie persönlich ist »Ozarker«?

Wir können alles teilen. Ich erzähle diese Geschichten, die mein Leben geprägt haben, die mir weitergegeben wurden, aber es sind sehr gewöhnliche Geschichten – wir sind alle Menschen. Davon handelt diese Musik, von Hoffnung, Verlust, Stärke, von Sorgen, Verlust. Ist egal, wer du bist in dieser Welt, reich oder arm, gebildet, ungebildet – darum geht es.

Ihre Gesangsstimme ist markant, kraftvoll. Wie wichtig ist es Ihnen, so zu singen?

Sobald du einige dieser unglaublichen Lead Singers hörst, John Fogerty, Neil Young, dann spürst du: Ja, dieser Typ, sein Gesang, das ist wahrhaftig. Er bringt da so viel Seele hinein. Gram Parsons. Lou Reed! Ich liebe es, Lou Reed singen zu hören. Bob Dylan! Bei diesen Typen geht es nicht darum, ob sie technisch gut singen können, sondern um »Oh, ich glaube ihm«. Das ist es. Auch ich möchte, dass man mir glaubt.

Im Titeltrack »Ozarker« erzählen Sie eine wahre Geschichte.

Ich fragte meine Mutter, ob sie sich daran erinnere, wie meine Urgroßeltern zusammenkamen. Ich hatte gehört, dass mein Urgroßvater ein rauer Kerl war, der gern Gitarre spielte, ein bisschen trank. Meine Urgroßmutter war sehr konservativ, stammte aus einer religiösen Familie. Er war Wanderarbeiter, ging dorthin, wo gerade Erntezeit war, kam von Talala in Oklahoma nach Missouri, arbeitete auf der Apfelplantage. Und lernte meine Urgroßmutter kennen – eine Forbidden love. Den Sommer über hielten sie es geheim, dann war Erntezeit. Er sagte, dass er weiterziehen müsse. In einem Jahr würde er zurückkommen, er habe etwas Geld angespart. Und dass er sie heiraten wolle, ein neues Leben beginnen. Meine Urgroßmutter erzählte es niemandem, aber sie war sehr aufgeregt. Nachts begann sie, ein Hochzeitskleid zu nähen.

Heimlich, nehme ich an.

Yes, secretly. Vier Monate später erzählte sie es ihrer Mutter. Aber die Eltern waren dagegen. Es sprach sich herum. Ist eine kleine Stadt, Maryville, Missouri, wo unsere Familie noch immer lebt. Alle dachten, sie wäre verrückt. Die ganze Stadt hatte den Wunsch gehegt, dass die Eltern sie mit dem ortsansässigen Arzt zusammenbringen würden, einem ehrenwerten jungen Mann. Sie sagten ihr: »Hey, der Typ kommt nicht zurück.« Sie sei reingelegt worden, to have her heart broken. Aber er kam tatsächlich zurück. Nach zehn oder 17 Monaten? Egal. Sein Wort galt, ihre Liebe war echt.

Ein gutes Beispiel dafür, wie wir alle, irgendwann in unserem Leben, für Beziehungen oder Gefühle für andere Menschen weite Wege gegangen sind, Opfer gebracht haben. Es spielt keine Rolle, ob das vor 150 Jahren war oder heute, right now. Das meine ich, wenn ich sage, dass die Menschen sich nicht groß ändern. Da sind immer diese zutiefst menschlichen, wunderbaren Grundeigenschaften. Es sind auch Geschichten, die weit mehr Kraft ausstrahlen als Geschichten über Konflikte, Verzweiflung, über Kriege. Ich komme aus der echten Welt. Liebe ist, was uns vorangebracht, den Grundstein für andere Dinge gelegt hat. Manches davon ist beklagenswert, klar. Mein Urgroßvater kam also zurück. Sie heirateten. Sie gründeten eine große Familie in den Ozarks von Missouri und blieben 50 Jahre zusammen, bis zu ihrem Tod.

Mehr »Spirit of Rock ’n’ Roll« geht nicht.

Exactly.

Israel Nash, geboren 1981 in Aurora, Missouri, ist ein in den Bergen von Texas lebender US-amerikanischer Rockmusiker. Nach seinem Albumdebüt »New York Town« (2009) hatte Nash mit »Barn Doors and Concrete Floors« (2011), aufgenommen in einer Scheune in den Catskill Mountains bei New York, so etwas wie seinen Durchbruch. Sein schnörkelloser Countryrock wurde mit den Alben »Rain Plans« (2013), »Silver Seasons« (2015) und »Lifted« (2018) psychedelischer, vielschichtiger. Nach »Topaz« von 2021 mit mehr Memphis-Soul-Anteilen erschien Ende Oktober 2023 Nashs aktuelles, eher rockorientiertes Album »Ozarker«

Israel Nash live: 14.2., Lido, Berlin

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