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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Gemeinsam rüsten

Von Jörg Kronauer
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Donald Tusk (l.) und Olaf Scholz am Montag in Berlin

Das war sogar für Berliner Verhältnisse selten dreist. Da kauft die Bundesregierung US-Kampfjets, statt höhere Summen in das deutsch-französische Konkurrenzprojekt FCAS zu stecken. Da initiiert sie eine sich europäisch nennende Flugabwehr, ohne Paris auch nur ernsthaft zu konsultieren, und plant dafür deutsche, US-amerikanische sowie israelische Systeme ein, nicht hingegen das moderne französisch-italienische. Zuvor hatte sie klargestellt, dass sie die polnische Rüstungsindustrie nicht am Bau des deutsch-französischen Kampfpanzers der neuesten Generation zu beteiligen gedenkt. Und dann jettet die Ministerin des Äußersten, Annalena Baerbock, nach Paris, um dort ihre Amtskollegen aus Frankreich und Polen zu belehren, jetzt müsse man aber endlich mal die EU-Militärunion aufbauen und auch Waffen gemeinsam beschaffen. Nun ja. Berlin kann es sich leisten, oder genauer: Es glaubt das wenigstens.

Eins stimmt aber: Der Regierungswechsel in Polen hat die Chancen dafür, in der EU auf rüstungsindustrieller und militärischer Ebene enger zusammenzuarbeiten sowie eine eigene europäische Waffen- und Kriegsmacht aufzubauen, erhöht. Ministerpräsident Donald Tusk sprach am Montag in Berlin mit Kanzler Olaf Scholz über allerlei, ganz besonders aber über Rüstungs- und Militärkooperation. Tusk ist offenbar tatsächlich gewillt, die einseitige Orientierung auf die USA zu modifizieren, die eines der außenpolitischen Markenzeichen der Vorgängerregierung war. Polen ist das einzige östliche EU-Land, das – bislang – am deutsch geführten Aufbau der europäischen Flugabwehr nicht teilnimmt. Scholz und Tusk deuteten an, das solle sich nun ändern. Die Frage ist, ob das mehr heißt, als dass Polen seine im Aufbau steckenden US-»PATRIOT«-Bestände nun auch um deutsche IRIS-T-Abwehrraketen ergänzt. Am Montag war jedenfalls die Rede von stärkerer Rüstungskooperation.

Details blieben freilich, wie so oft, unklar. Tusk, der sich in Berlin sehr für gemeinsame Rüstungsprojekte stark machte, kam direkt aus Paris, wo er mit Präsident Emmanuel Macron über eine enge EU-Militärkooperation gesprochen hatte. Frankreich ist seit je dafür. Deutschland hingegen profitiert von der Zusammenarbeit mit den USA – man denke etwa an die neue Beteiligung von Rheinmetall an der F-35-Produktion. Scholz stellte denn auch klar, EU-Projekte dürften die transatlantische Kooperation nicht beschädigen. Zumindest die Differenzen zwischen Berlin und Paris bestehen also, da mag die Außenministerin noch so emphatisch predigen, fort.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (14. Februar 2024 um 07:21 Uhr)
    Na klar braucht man Polen für die weitere »Strategie«, die derzeit noch im wesentlichen von Annalena Baerbock in die Welt getragen wird. Es wäre sinnlos, den Ausbau der Transportwege von Rotterdam und Bremerhaven, den größten Umschlagplätzen für militärisches Gerät, gen Osten an der polnischen Grenze plötzlich zu stoppen. Polen war schon im Zweiten Weltkrieg durch seine Geländebeschaffenheit die natürliche Panzerrollbahn in Richtung der Sowjetunion. Nun wird Polen »kriegstüchtig« gemacht. Es ist doch egal, welche Waffensysteme dort stationiert oder durchgeschafft werden. Sie haben alle eines gemeinsam – sie sind tödlich. Und um die Menschen hier in Deutschland von der »Unbesiegbarkeit« der NATO zu überzeugen, laufen in den Dokumentationskanälen sowohl der öffentlich-rechtlichen sowie der privaten Sender täglich, oft zur Primetime, Sendungen über moderne Waffensysteme. Es ist also das große Werben fürs Sterben im Gange. Oder wie heute morgen im ARD-Morgenmagazin ein Bericht über die Vereidigung von weiblichen Soldatenanwärtern der polnischen Armee. Der subtile Aufruf an die deutsche Jugend, sich fertig zu machen. Die Diskussion um die Wiederaktivierung der Wehrpflicht kommt erneut in Fahrt, Kiesewetter (CDU) fordert die Verdreifachung des Sondervermögens Bundeswehr, noch schüttelt Pistorius (SPD) den Kopf und meint aber, dass der im jährlichen Haushalt einzustellende Etat für die Bundeswehr regelmäßig über dem NATO-Ziel von zwei Prozent des BIP liegen soll. Aber diese Damen und Herren werden die Front nie sehen, außer sie kommt wie 1945 zurück. Aber sie werden die Einheit des deutschen Michel fordern gegen den bösen Russen, den bösen Chinesen und wer uns sonst noch so an unseren Reichtum will. Und sie schreien noch nicht wörtlich, aber schon sinngemäß: »Wollt ihr den totalen Krieg?« Ich hoffe sehr, dass es endlich wieder zu einer Besinnung des potentiellen Kanonenfutters kommt und all diese Menschen im Sinne Karl Liebknechts von 1914 rufen: »Nein!«

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