4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 6 / Ausland
Südasien

Herrschaft per Pogrom

Indien: Erneute Repressionen gegen Muslime. Grund sind die bevorstehenden Wahlen
Von Jörg Tiedjen
k6.JPG
Noch ist der Fall gerichtlich nicht geklärt, schon werden die angeblich illegalen Gebäude abgerissen (Haldwani, 8.2.2024)

Im Vorfeld der im April und Mai anstehenden Wahlen in Indien haben Repressionen gegen Muslime zugenommen. Schauplatz der jüngsten Gewalt gegen die größte Minderheit des Landes ist der nördliche Bundesstaat Uttarakhand. Er wird von der Indischen Volkspartei (BJP) von Premierminister Narendra Modi regiert, der sich bei der kommenden Abstimmung eine dritte Amtszeit sichern will.

Am Donnerstag vergangener Woche hatte die Verwaltung der Stadt Haldwani eine Moschee mit angeschlossener Koranschule mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Angeblich sei sie trotz fehlender Genehmigung auf staatlichem Grund errichtet worden. Über die rechtliche Frage wird aber noch vor dem höchsten Gericht Uttarakhands verhandelt. Als aufgebrachte Anwohner den Abriss zu verhindern suchten, gingen Einsatzkräfte mit scharfer Munition gegen sie vor, wobei fünf Menschen starben. Über Haldwani wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Polizei drang in von Muslimen bewohnte Häuser ein, griff Familienmitglieder an, darunter auch Frauen, demolierte Eigentum und nahm mehrere Männer gefangen.

Als am Wochenende ein Journalist der Nachrichtenseite Scroll.in Haldwani aufsuchte, hätten Einsatzkräfte ihm den Zugang zum von Muslimen bewohnten Viertel Banbhoolpura verweigert. Dennoch sei er hineingelangt und habe dort verriegelte Häuser und zerstörte Fahrzeuge vorgefunden, während die Einwohner sich nicht mehr auf die Straße trauten. Viele hätten bereits die Flucht in andere Bundesstaaten ergriffen.

Das Planieren der Moschee ist nicht die einzige antimuslimische Maßnahme der Regierung von Uttarakhand. So wurde in dem Bundesstaat einen Tag vor dem Abriss der Moschee laut dpa ein Gesetz beschlossen, das auf der einen Seite das Zusammenleben Unverheirateter davon abhängig macht, ob sie dafür eine offizielle Genehmigung erhalten. Auf der anderen Seite verbietet es die Polygamie, die indischen Muslimen bisher gestattet war, anderen Indern nicht. Die Stoßrichtung ist klar: Nach dem Motto »gleiches Recht für alle« soll Stimmung gegen die Muslime gemacht werden. Zugleich werden rechtliche Möglichkeiten geschaffen, gegen sie vorzugehen.

Das ist in Indien nicht neu. Es ist vielmehr seit langem das Erfolgsrezept von Modis Hindunationalisten, insbesondere vor Wahlen, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen des Landes gegeneinander aufzubringen und sich zugleich als Verteidiger der Rechte der hinduistischen Mehrheit hinzustellen. Das hatte schon 2002 bestens geklappt, als Modi noch Chiefminister des Bundesstaats Gujarat war und wochenlange Pogrome gegen Muslime geschehen ließ, worauf er als strahlender Sieger aus dem damaligen Urnengang hervorging.

Eine Polarisierung der Bevölkerung und Entpolitisierung des Wahlkampfs ist in diesem Jahr aber dringend notwendig. So leben gerade dieser Tage auch in Indien wieder Bauernproteste auf, wie sie vor einigen Jahren die Metropole Delhi komplett lahmlegten. Sogenannte ethnische oder religiöse Konflikte zu befeuern ist eben auch in Indien ein bewährtes Mittel, berechtigten sozialen Protest zu entschärfen und abzulenken.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Regio:

Mehr aus: Ausland