junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Mai 2024, Nr. 109
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 2 / Ausland
NATO

America only

USA: Trump bestreitet Bündnispflicht. Europäische NATO-Staaten reagieren nervös und fordern Aufrüstung
Von Felix Bartels
2 aufmacher.JPG
Mit Pauken und Trumpeten: Wahlkampf in South Carolina (Conway, 10.2.2024)

Eins haben Donald Trump und Taylor Swift gemein: Der Krach, den sie verursachen, ist das Wahre an ihnen. Den sie hervorrufen übrigens noch mehr als der eigene. Als Trump am Wochenende während einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina über die Rolle der USA in der NATO sprach, schien die halbe Welt sich zur Reaktion gezwungen zu sehen. Binnen Stunden. Noch sind es die Äußerungen eines Mannes, der sich in der Bewerbung für die Bewerbung des US-Präsidentenamts befindet.

Trump, der bereits 2020 beim Wirtschaftsforum in Davos den Satz »Die NATO ist tot, wir werden sie verlassen« gesagt haben soll, erzählte in South Carolina eine seiner schwer verifizierbaren Geschichten: Vom »Präsidenten eines großen Landes« will er gefragt worden sein, ob die USA auch denjenigen Bündnisstaaten gegen Russland beistünden, die ihre Beiträge nicht ausreichend bezahlen. Nicht bloß verneint habe er das, berichtete Trump, er würde Russland »sogar dazu ermutigen zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen«.

Andrew Bates, Sprecher des Weißen Hauses, nannte diese direkte Botschaft an Moskau »vollkommen verrückt«. US-Präsident Joseph Biden fand sie »entsetzlich und gefährlich«. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte: »Jede Andeutung, dass Verbündete sich nicht verteidigen werden, untergräbt unsere gesamte Sicherheit.« EU-Ratspräsident Charles Michel gab zu bedenken, dass derart »rücksichtslose Äußerungen« nur den Interessen des russischen Präsidenten dienen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stieß die Warnung aus, dass die NATO nicht »von der Laune des US-Präsidenten« abhängig sein dürfe. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in Berlin: »Jegliche Relativierung der Beistandsgarantie (…) ist einzig und allein im Sinne Russlands.« Die rechtliche Lage scheint, allem Lärm zum Trotz, widersprüchlich. Nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags sind Mitglieder der NATO verpflichtet, einander im Verteidigungsfall beizustehen. Beim Gipfel von Wales 2014 haben die NATO-Staaten allerdings festgeschrieben, »innerhalb von zehn Jahren« zwei Prozent ihres BIP für den Militärhaushalt aufzuwenden. Auch heute erreicht die Bundesrepublik diesen Wert nicht, im Vorjahr kam sie auf 1,6 Prozent.

Erwartbar wurde die Verunsicherung sogleich in einen Ruf nach weiterer Aufrüstung umgesetzt, ganz gleich, wie wahrscheinlich oder auch bloß möglich ein russischer Angriff gegen die militärisch deutlich stärkeren NATO-Staaten Europas ist. Die Spitzenkandidatin der SPD für das EU-Parlament, Katarina Barley, befand, dass auf den US-Atomschirm »kein Verlass mehr« sei und forderte, dass die EU-Länder diese »Verantwortung« selbst übernehmen. Ihr Parteigenosse Andreas Schwarz schlug vor, den Militärhaushalt dauerhaft von der Schuldenbremse zu entkoppeln. CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter brachte eine Erhöhung des Bundeswehrsondervermögens von 100 auf 300 Milliarden Euro zur Sprache.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (14. Februar 2024 um 11:49 Uhr)
    Also ich wäre ja zurückhaltender mit der Annahme eines Automatismus in Artikel 5, nachdem Scott Ritter diesen mal seziert hat. Es heißt: Maßnahmen ergreifen, welche für erforderlich(!) erachtet werden – also jede Menge Raum für Interpretation. Dieser wurde natürlich nach Trumps Äußerungen wieder zum maximalen Schüren von Angst genutzt. Die ganz einfache Schlussfolgerung, einfach seine Verpflichtungen des 2-Prozent-Ziels zu erfüllen, auf denen er lautstark beharrt, kommt den kopflosen Hühnern nicht in den Sinn. Man rüstet lieber rhetorisch gegen Russland auf, kost’ ja nix. Man könnte es noch billiger haben: Deeskalation. Russland hat überhaupt kein Interesse, die NATO anzugreifen. Die Ukraine ist das leuchtende Beispiel, denn im Wesentlichen handelt es sich um Prävention in der strategischen Defensive. Man sieht sich dort durch die NATO bedroht und musste verhindern, dass auch die Ukraine ihr beitritt. Dann hätte man den nuklearen NATO-Revolver an der Schläfe und keinerlei Verteidigung, welche nicht gegenseitigem Selbstmord gleich käme. Mit den USA an der Spitze der NATO weiß man auch, dass diese rücksichtslos ihre Machtinteressen durchsetzen und Russland tatsächlich in eine »als Land getarnte Tankstelle« verwandeln wollen – was es ja laut John McCain eigentlich schon lange ist. Widerstand zwecklos. Man sollte sich mal die eindimensionalen Ergüsse eines gewissen John Mearsheimer antun, um zu verstehen, wie die »Eliten« – aufgeblasene Schwachköpfe trifft es besser – in den USA ticken: Alles wird auf Machtspiele reduziert, die quasi objektiven Gesetzmäßigkeiten folgen, sich aber bei näherer Betrachtung als selbsterfüllende Prophezeiungen entpuppen. Wenn man solche Gegner hat, kann man sich diesen »Regeln« auch kaum entziehen – wenn Gewalt durch einen Gegner droht, der immer wieder beweist, dass er sie als Machtmittel ansieht, muss man mit Gewalt reagieren. Deeskalation ist in diesen Zirkeln ein Zeichen von Schwäche und die USA die »Ausnahmenation«, die alles darf.
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (14. Februar 2024 um 07:58 Uhr)
    Betreffs Bündnisstaaten, die ihre Beiträge nicht ausreichend bezahlen: Trump »würde Russland ›sogar dazu ermutigen zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen‹«. Wäre doch mal interessant zu erfahren, wie W. Putin auf Trumps »irrlichternde Äußerungen« (Michael Link, FDP) reagiert. Eigentlich müsste er sich doch freuen, oder? Zumal Trump bereits in seiner ersten Amtszeit Putin als »Freund« bezeichnet und die Existenzberechtigung der NATO bezweifelt hatte. – Im Übrigen ist die weltweite Aufregung zu verstehen, da zu befürchten ist, dass er der nächste US-Präsident wird. Was ist, wenn er nicht nur, wie jetzt, unverbindlich daherredet, sondern dann verbindliche Anweisungen gibt!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (14. Februar 2024 um 14:23 Uhr)
      Trumps Außenpolitik war immer schizophren, hat er doch die Bewaffnung der Ukraine vorangetrieben, wie kein anderer vor ihm. Auch hat er das Land seines »Freundes« sanktioniert. Mit solchen »Freunden« braucht man keine Feinde mehr. Die Existenzberechtigung ist auf jeden Fall zu bezweifeln, von wegen »Verteidigungsbündnis«: »Hör auf Dich selbst zu schlagen!« (Nelson von den Simpsons). Mit Ende des Kalten Krieges hatte die NATO ihre Existenzgrundlage verloren. Aber anstatt sich aufzulösen, hat man »Verteidigung« umdefiniert und marodiert auf dem Globus. Nennen Sie eine echte Verteidigungsmission, die ohne Orwell’sche Verdrehungen auskommt; ich warte solange, werde aber nicht die Luft anhalten. Man sollte mal wegkommen vom Trump Derangement Syndrome, welches nur existiert, weil »Russiagate« erfunden wurde, um die Niederlage der aufgeblasenen Tante mit dem Stock im Rektum auf »die pöhsen Russen« zu schieben. Wie kann es auch sein, dass das Elektorat eine solche Unperson ablehnte und der Wahl fern blieb, nachdem man deren erkennbar bevorzugten Kandidaten Bernie Sanders aus der eigenen Partei heraus sabotiert hatte?! (Mit Corbyn ist man in UK gleich verfahren) Trumps Aussagen werden immer maximal negativ ausgelegt, nicht zuletzt, weil die Medien ihn zum Feind erklärt haben. So eben auch hier, siehe meinen obigen Kommentar. Man müsste nur die »Wenn«-Bedingung negieren, und schon käme auch ein Trump seinen Verpflichtungen nach. Es ist doch grotesk, dass die Staaten, die sich weigern, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen, sich hier zum Opfer Trumps stilisieren. Wenn man NATO will, was man vielleicht mal hinterfragen sollte, dann eben auch vertragskonform. Das wäre sowieso anzuraten, wenn man denn die Prämisse ernst nimmt. Ansonsten kämen die USA nur noch zum Aufräumen, sollte es tatsächlich eine militärische Konfrontation mit Russland geben, was ohnehin nur Phantasie der Angstmacher und Kriegstreiber ist.

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland