4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Münchner »Sicherheitskonferenz«

Hinterzimmertreffen

Die CIA leistete Geburtshilfe: 2024 findet die 60. Münchner »Sicherheitskonferenz« statt. Sie bleibt ein Klub des kollektiven Westens
Von Arnold Schölzel
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Auch zur 60. »Sicherheitskonferenz« wird der Tagsungsort, das Münchner Luxushotel »Bayerischer Hof«, weiträumig abgeriegelt (16.2.2023)

Ende November, Anfang Dezember 1963 fand die erste »Wehrkundetagung« – übrigens mit Henry Kissinger und Helmut Schmidt als Teilnehmern – in München statt. Ab Freitag tagt sie, nun »Münchner Sicherheitskonferenz« genannt, dort bis Sonntag zum 60. Mal. Am Sonnabend ruft das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2024« zur Demonstration und einer Protestkette auf: »Kriegstreiber unerwünscht!«

Abschlachtfelder

Die Losung trifft zu, auch wenn für dieses Jahr Vertreter aus etwa 50 Ländern des »globalen Südens« und der Außenminister Chinas, Wang Yi, angekündigt sind. Das Treffen von rund 450 Politikern, Militärs und Industriellen bleibt das weltgrößte Hinterzimmertreffen – die öffentlichen Veranstaltungen sind Beiwerk – von Waffenschiebern und Planern des nächsten westlichen Massenmords. Die Konferenz und die weit überwiegende Mehrheit ihrer Teilnehmer repräsentieren die Kontinuität imperialistischer Militärgeschichte. Die Ursprünge der Tagung liegen in den 50er Jahren, als der Kalte Krieg mit dem »heißen« in Korea (rund vier Millionen Tote) seinen ersten Tiefpunkt hatte. Der Koreakrieg wurde indirekt zum Konjunkturprogramm für die westdeutsche Industrie. Das Zerstören unbotmäßiger Staaten setzte sich in den Kolonien oder nach ökonomischer Unabhängigkeit strebenden Ländern bis heute fort, exzessiv wurde es nach dem Ende der Sowjetunion 1991, einer wirklichen Zeitenwende: Westliche Militärs tobten sich im Irak, Jugoslawien und im weltweiten »Krieg gegen den Terror« aus. Hinzu kamen und kommen mehr oder weniger verdeckte Militäraktionen etwa im Süden Russlands, in Syrien oder in der Ostukraine. Was mit diesem »Weltkrieg in Stücken« (Papst Franziskus) 2001 als NATO-Beistandsaktion für die »Selbstverteidigung« der USA gestartet wurde, kostete nach Angaben der Washington Post vom 15. Mai 2023 rund 4,5 Millionen Menschen das Leben.

Ausgelagerte Propaganda

Am Anfang stand die CIA. Der US-Geheimdienst gründete 1951 die »Gesellschaft für Wehrkunde« (GfW) und finanzierte sie bis Anfang 1953 über den »Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft« – analog zur nazistischen Deutschen Soldaten-Zeitung. 1952 übernahmen nach außen hin alte Kameraden aus SS und Wehrmacht die GfW. Geld kam aus der Industrie und vom »Amt Blank«, dem Vorläufer des BRD-Kriegsministeriums. Als Chef besonders geeignet erschien den Rekrutierern Exoberleutnant Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin (1922–2013). Der Mann war Mitglied der Verschwörung vom 20. Juli 1944 und stramm nationalistisch. Es machte ihm nichts aus, im GfW-Vorstand mit SS-Obergruppenführer Felix Steiner (1896–1966) zusammenzusitzen. Kleist leitete die Wehrkundetagung von 1963 bis 1998. Aus der GfW wurde im Laufe der Jahrzehnte die heutige »Gesellschaft für Sicherheitspolitik« (GSP) mit etwa 7.300 Mitgliedern. Sie fungiert als eine Art ausgelagerte Propagandaabteilung des deutschen militärisch-industriellen Komplexes. Der hatte mit ähnlichen Vereinigungen seit Kaiserzeiten gute Erfahrungen gemacht.

Die reichlich dotierte GfW blühte rasch auf: Ein Jahr nach der Gründung hatte sie bereits 70 Sektionen im ganzen Bundesgebiet. 1953 kam ein Vertrag mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zustande. Vom Anschluss der DDR wurde die GfW überrascht, strich aber rasch die »Wehrkunde« aus dem Vereinsnamen und ist heute in allen ostdeutschen Landeshauptstädten vertreten. Am kommenden Dienstag wird zum Beispiel im Rahmen des »Schweriner Sicherheitsdialogs« der Cheflobbyist der deutschen Rüstungsindustrie, Hans-Christoph Atzpodien, Auskunft über deren Situation erteilen. Atzpodien hat zusammen mit dem SPD-Wirtschaftsforum und der IG Metall am vergangenen Freitag ein Positionspapier vorgelegt, in dem die Bundesregierung zu langfristiger und umfassender Rüstungspolitik aufgefordert wird. Gegenwärtig ist der SPD-Politiker und frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, GSP-Vorsitzender.

Krieg in Europa

Elf Jahre nach Gründung der GfW berief Kleist im Herbst 1963 erstmals ein Treffen von rund 60 Militärs, Politikern, Rüstungsindustriellen und anderen Vertretern des Kapitals unter dem Titel »Internationale Wehrkundebegegnung« oder »Wehrkundetagung« ein. Die Teilnehmer kamen und kommen im wesentlichen aus den NATO-Staaten. Vertreter aus Ost- und Mitteleuropa und Ländern außerhalb der NATO wurden erst unter Horst Teltschik, einst Sicherheitsberater Helmut Kohls und Konferenzleiter seit 1999, verstärkt eingeladen. Die Tagung fand in jenem Jahr kurz vor einer wichtigen Zäsur in Europa statt: Die NATO entfesselte zum ersten Mal seit 1945 einen Krieg auf dem Kontinent und bombardierte völkerrechtswidrig Jugoslawien. In Teltschiks Amtszeit fiel 2007 die Rede Wladimir Putins auf der »Sicherheitskonferenz«, in der er dem Westen erstmals das Entstehen einer neuen Weltordnung ohne dessen Dominanz vorhersagte. Die Folge waren politische und mediale Hysterie, die sich seither regelmäßig steigert.

Der Diplomat Wolfgang Ischinger, von 2009 bis 2021 Konferenzleiter, war an der Führung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs von 1999 maßgeblich beteiligt. Sein Nachfolger seit 2022, Exbotschafter und Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel von 2005 bis 2017, Christoph Heusgen, war Miturheber der Minsker Abkommen, die nach Aussagen seiner früheren Vorgesetzten vor allem dazu dienten, Russland hinters Licht zu führen und den Bandera-Putschisten in Kiew den Krieg gegen die Ostukraine, den sie 2014 als »antiterroristische Operation« gestartet hatten, zu ermöglichen.

Hintergrund: Verlierer

Seit einigen Jahren veröffentlicht die »Munich Security Conference« (MSC) zu ihren Tagungen Berichte, die »Munich Security Reports«. Der des Jahres 2024 ist der zehnte und trägt die Überschrift »Lose – Lose?« (Verlieren – Verlieren?).

Die Vokabel »Verlieren« klingt nicht besonders optimistisch. Begründet wird die Wahl des Titels im Vorwort des Berichts von MSC-Chef Christoph Heusgen: »Leider spiegelt der diesjährige Bericht einen Abwärtstrend in der Weltpolitik wider, der durch eine Zunahme geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheit gekennzeichnet ist. Laut der Neuauflage des Munich Security Index, seit 2021 ein zentraler Bestandteil des Berichts, gehen große Teile der Bevölkerung in den G7-Staaten davon aus, dass ihre Länder in zehn Jahren weniger sicher und wohlhabend sein werden. Kein Wunder also, dass viele Regierungen ihr internationales Engagement überdenken und stärker auf die Schwachstellen achten, die mit der gegenseitigen Abhängigkeit einhergehen, und darauf achten, wer von der Zusammenarbeit mehr profitiert. Doch während ›Risikominderung‹ in verschiedener Hinsicht eine notwendige Reaktion auf ein sich veränderndes und gefährlicheres geopolitisches Umfeld ist, besteht die Gefahr, dass eine stärkere Fokussierung auf die relativen Vorteile der Zusammenarbeit die absoluten Vorteile der Zusammenarbeit untergräbt. Wir müssen vermeiden, in immer mehr Lose-Lose-Situationen zu geraten, die mit der fragmentierten Weltordnung einhergehen. Vielmehr müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um zu einem gemeinsamen Verständnis der regelbasierten internationalen Ordnung auf der Grundlage der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beizutragen, die es jedem ermöglicht, zu gewinnen.«

Wer von den abschließenden Phrasen absieht, erfährt also, dass die Bevölkerungen und Regierungen der G7-Länder – also des imperialistischen Machtblocks, der in seiner Selbstwahrnehmung unter Führung der USA seit 1945 die Welt beherrscht – von Pessimismus geplagt sind. Untergangsstimmung kommt in der Geschichte imperialistischer Staaten regelmäßig vor, vor allem nach verlorenen Kriegen oder tiefen Wirtschaftskrisen, wenn die vor allem in Kolonien oder abhängigen Ländern durch Hyperausbeutung erwirtschafteten Extraprofite zur sozialen Bestechung der sogenannten Mittelschichten schwinden.

Das scheint sich nach Ansicht der Autoren des diesjährigen Berichts auszubreiten. Träfe das zu, könnte es sich um einen Ausdruck von Realismus handeln. In verquerer und verzerrter Form spiegelt die These Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis und die Erosion westlicher Vormacht wider. Thema der »Unsicherheitskonferenz« dürfte sein, das nicht unbewaffnet hinzunehmen. (as)

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