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Aus: Ausgabe vom 14.02.2024, Seite 1 / Kapital & Arbeit
Gemeinsame Agrarpolitik

Brüssel macht Bauern Zugeständnisse

EU-Kommission setzt im Alleingang Regeln für Mindestanteil an Brachland auf Ackerflächen aus
Von Raphaël Schmeller
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Sind besonders wütend: Französische Bauern demonstrieren am Dienstag in Paris

Mit einem Alleingang versucht die EU-Kommission, die Bauernproteste in Europa einzudämmen. Wie aus einer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt vom Dienstag hervorgeht, hat Brüssel trotz Uneinigkeit unter den Mitgliedstaaten Zugeständnisse an die Landwirte durchgesetzt und eine Ausnahme von den Regeln für einen Mindestanteil an Brachland auf Ackerflächen beschlossen.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU sieht vor, dass Landwirte vier Prozent ihrer Nutzfläche brachliegen lassen. Damit sollen Flächen für wildlebende Arten geschaffen werden. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine hatte die Kommission diese Regelung aus Sorge um die Ernährungssicherheit vorübergehend ausgesetzt. Nun soll die Ausnahmeregelung bis Ende des Jahres verlängert werden. Allerdings führt Brüssel eine Ersatzvorschrift ein: Demnach erfüllen Landwirte die Anforderung, wenn sie »einen Mindestanteil von vier Prozent ihrer Anbauflächen für nichtproduktive Flächen und Merkmale« nutzen, heißt es in der Veröffentlichung vom Dienstag. Dazu zählen neben brachliegenden Flächen auch der Anbau stickstoffbindender Pflanzen wie Linsen, Erbsen und Bohnen oder Zwischenfrüchten.

Ursprünglich hatte Brüssel einen Mindestanteil von sieben Prozent der Ackerfläche für stickstoffbindende Pflanzen vorgeschlagen, was Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßte. Mit der Absenkung auf vier Prozent schieße die Kommission über das Ziel hinaus, kritisierte Özdemir vergangene Woche, als die neuen Pläne bekanntwurden.

In einer ersten Abstimmung am Freitag hatte sich Deutschland deshalb der Stimme enthalten. Auch andere EU-Länder enthielten sich, eine Mehrheit kam nicht zustande. Nach geltendem EU-Recht ist die Kommission bei ihrer Entscheidung aber nicht auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten angewiesen. Sie kann die Pläne im Alleingang durchsetzen – was sie nun getan hat. Dafür erhielt sie vor allem Lob von der französischen Regierung, die sich seit Wochen mit heftigen Bauernprotesten konfrontiert sieht und deshalb auf Ausnahmen von den EU-Umweltauflagen gedrängt hatte.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Februar 2024 um 22:47 Uhr)
    In den Gefilden Westeuropas, wo der Überfluss regiert, gedieh eine ganz besondere landwirtschaftliche Spezialität – das Brachland. Hier konnten die Bauern beträchtliche Vermögen anhäufen, ohne auch nur einen einzigen Samen in die Erde zu setzen. Die EU entlohnte großzügig jeden Hektar brachliegendes Feld, auf dem die Bauern bewusst nichts anbauten. Je mehr Brachland ein Bauer sein Eigen nennen konnte, desto tiefer griff die EU in ihre Geldbörsen, und die Bauern investierten jeden erhaltenen Pfennig erneut in weiteres ungenutztes Land. Schon bei den ersten Sonnenstrahlen des Tages eilte der Bauer aus dem Bett – nicht, um die Feldarbeit zu vollenden, sondern um sicherzustellen, dass auf dem Feld nichts getan wurde. Ihr Geld investierten sie klug in zusätzliches Brachland, und so hatten die Bauern bald eine Fülle von ungenutzten Flächen, um ihre Wohlstandsfantasien zu verwirklichen. Ihr Motto lautete: »Wie ihr säet, so sollet ihr ernten.« Diese Überzeugung begründeten sie mit einer gewissen Logik: »Unser Gott hat uns, den guten Bauern, zwei kräftige Hände geschenkt, damit wir mit ihnen nehmen, was immer wir nur bekommen können. Wenn der Herrgott nicht gewollt hätte, dass wir so viel nehmen, wie wir können, hätte er uns keine zwei tüchtigen Hände mitgegeben.« Dieser Refrain wurde von den Bauernverbandsbrüdern wie eine Hymne gesungen, und die Idee verwurzelte sich fest in der EU.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (14. Februar 2024 um 11:11 Uhr)
      Zunächst einmal sollte vielleicht mit der Mär aufgeräumt werden, dass es sich in der Mehrheit um romantisierte Bauernhöfe in Familienhand handelt. Von der Anzahl der Höfe mag das stimmen, aber die Fläche, welche diese bewirtschaften, ist mittlerweile beinahe vernachlässigbar. Es sind Agrarkonzerne, die die Landwirtschaft prägen und nicht Familienbetriebe. Aber sei es drum. Vier oder auch sieben Prozent sind viel zu wenig Brachland, denn mittelfristig geht uns der Dünger aus, nicht erst seit den Sanktionen gegen Russland und Belarus – ironischerweise zögern diese das Ende noch etwas hinaus. Bevor das Öl alle ist, wird Phosphor verschwunden sein; nicht wirklich, aber er wird in der Umwelt verteilt sein und nicht mehr zur Düngerherstellung zur Verfügung stehen. Bisher wird diese Tatsache aber überhaupt nicht durch Anpassungen in der Landwirtschaft gewürdigt. Will man ohne Dünger langfristig, wenn auch geringere, Erträge sichern, so bleibt kaum was anderes als die gute alte Dreifelderwirtschaft, von der wir nur aus dem Geschichtsunterricht wissen. Das heißt also 33 Prozent (!) Brachfläche. Das wird uns gleich doppelt treffen, denn ohne Dünger ist selbst auf einer frisch erholten Brachfläche ein deutlich geringerer Ertrag zu erwarten als auf einer intensiv gedüngten. Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert und sollten, wenn auch längst nicht mehr rechtzeitig, den Rückwärtsgang einlegen. Es wird ohnehin schon schlimm genug werden, da brauchen wir nicht noch landwirtschaftliche Schocktherapie. Essen wird perspektivisch viel teurer werden (müssen). Ein kleiner Trost ist vielleicht, dass dann weniger Geld für hedonistische Ausgaben, wie z. B. jedes Jahr ein neues iPhone oder bekloppte E-SUV, in den Taschen sein wird.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (14. Februar 2024 um 12:37 Uhr)
        »Essen wird perspektivisch viel teurer werden (müssen). Ein kleiner Trost ist vielleicht, dass dann weniger Geld für hedonistische Ausgaben, wie z. B. jedes Jahr ein neues iPhone oder bekloppte E-SUV, in den Taschen sein wird.« Essen muss viel (!) teurer werden. Guter Vorschlag. Ich habe mich auch schon immer über die Flaschensammler, Geringverdiener, prekär Beschäftigten, Arbeits- und Wohnungslosen geärgert, die mit ihren SUVs protzen.
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (14. Februar 2024 um 13:16 Uhr)
          Wenn man alles falsch verstehen will. … Einer gerechteren Verteilung des Wohlstandes steht dies nicht entgegen. Im Gegenteil: Erst wenn der Leidensdruck hoch genug ist, wenn nämlich die E-SUV-fahrenden iPhone-Hedonisten auch betroffen sind, wird sich etwas bewegen. Es muss erst schlimmer werden, bevor es besser wird. Aber nein, man meint mit der (fehlgeleiteten Idee der) E-Mobilität, bei der E-SUV die allerdümmste Form sind, erschöpft sich dann schon der Reformbedarf. »Wer friedliche Reformen verunmöglicht, schafft die Bedingungen für gewalttätige Revolution.« (JFK) Vergatterte Gemeinden (gated communities) werden niemanden schützen; sie sind vielmehr das perfekte Aushängeschild, wem man an den Kragen muss. Ich bitte des Weiteren zu beachten, dass nur 2.000 Zeichen zur Verfügung stehen, weshalb Verkürzung unumgänglich ist. Ich bitte etwaige Missverständnisse deswegen zu entschuldigen.
          P.S.: Ich beschreibe auch nicht den Willen zu einer Verteuerung von Lebensmitteln, sondern schlicht die objektive Realität, wie ich sie, unter Zuhilfenahme einschlägiger Dokumentation, wahrnehme: Phosphorkrise kann man in der Suchmaschine der Wahl leicht ausfindig machen; Arte hatte auch schon bewegte Bilder dazu im Programm. Allerhöchstens können wir den Schock abfedern und möglicherweise Effizienzverluste begrenzen, aber die Richtung ist klar. Wenn wir gar nichts tun und den »Markt regeln« lassen, werden die Schockwellen ein Maximum erreichen. Ich plädiere deshalb eher für einen Schock auf Raten, der dann vielleicht gar nicht mehr als solcher in Erscheinung tritt.
          • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. Februar 2024 um 15:05 Uhr)
            Leute! In meinem Leserbrief parodiere ich lediglich den Vorschriftzwang und das Subventionierungswirrwarr der EU. Zudem möchte ich zwei Bemerkungen anbringen: Erstens geht es hier um konservative Schwarzwähler, die nicht nur gerne nehmen, sondern sogar ständige Subventionen als Gewohnheitsrecht beanspruchen! In welcher Welt leben wir? Ich befürworte temporäre und notwendige Subventionen, wenn sie vertretbar sind, aber eine dauerhafte Subventionierung ist inakzeptabel!

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