4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Zuviel Nostalgie in der Luft

Blitz Bazawules Musical-Neuverfilmung von Alice Walkers Roman »Die Farbe Lila«
Von Norman Philippen
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Was könnte eine gute Tanzeinlage nicht vermitteln – Fantasia Barrino als Celie

Es hätte wohl mit dem Teufel zugehen müssen, wäre in der beinahe vierzigjährigen Adaptionsgeschichte von Alice Walkers Roman »Die Farbe Lila« so mancher Abgrund der Vorlage nicht übersprungen worden. Das gilt für Steven Spielbergs Spielfilm von 1985 genauso wie für die beiden Broadway-Musical-Produktionen (von 2005 und 2015) und die auf diesen beruhende Neuverfilmung des ghanaischen Regisseurs Blitz Bazawule.

Zumal der Roman eine fast vierzig Jahre währende Leidensgeschichte einer schwarzen Frau erzählt, die ihrem Brieffreund Gott die Treue hält, auch wenn sie eher mit der Hilfe ihrer diesseitigen Seelenschwestern allmählich zu ihrer eigenen Stimme finden kann. Dass der von Oprah Winfrey als »Nationalhymne des Empowerments der Frauen« gelesene, 1982 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Briefroman im Kino nun einen fröhlicheren Klang hat als im Original, überrascht daher nur die, die sich ihren Wunderglauben bis 2024 bewahren konnten.

»Den Film in dieser Zeit neu zu erfinden« bedeute, so Koproduzentin Winfrey, »ein Phänomen neu zu erfinden«. Ob es zwingend auch bedeuten musste, Inhalte wie inzestuöse Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt in der Ehe, Rassismus, Armut und Ungleichheit durch zwanzig Tanz- und Gesangseinlagen zu vermitteln?

In Bazawules Neuerfindung hat die Hauptfigur Celie – als 14jährige von Phylicia Pearl Mpasi, als Erwachsene von Fantasia Barrino bravourös gespielt – trotz ihres vom (vermeintlichen) Vatertyrann (Deon Cole) und von ihrem Ehemann »Mister« (Colman Domingo) verursachten Martyriums schon vor dem Happyend viele gute Gelegenheiten zu singen und zu tanzen. Dann wirkt Celies Geschick wie ein für die düstere Story viel zu hell und freundlich ausgeleuchtetes Musiktheater. Insgesamt hätte die optisch ansonsten schöne Inszenierung etwas weniger Weichzeichner vertragen können. Da liegt doch etwas zuviel No­stalgie in der Filmluft eines imaginären Georgia in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als dass die letzte halbe Stunde dann auch noch als Erlösungsgeschichte hätte erzählt werden müssen.

Wer die Geschichte ganz begreifen will, sollte also weiterhin Walkers Buch lesen. Die Auswirkungen des »Me Too«-Phänomens sind der aktuellen Adaption aber immerhin deutlich eingeschrieben. Wo der dafür damals kritisierte Spielberg sich nur einen scheuen Kuss traute, legt Bazawule auf die lesbische Liebe zwischen Celie und der Sängerin Shug Avery (Taraji P. Henson) auf eine Art und Weise den Schwerpunkt, die Walkers Text schon näher kommt. Dass die Musik dieses Musicals den Ton des Textes kaum trifft, lässt sich besser überhören, sieht man den Film in deutscher Synchronfassung. Dann nämlich klingen die Gesangseinlagen allemal authentischer als die Gesprächsszenen, deren blasser Synchronisation jede angemessene Kolorierung fehlt.

Über die recht guten Box-Office-Zahlen in den USA und die lange Liste an Nominierungen und Auszeichnungen dürften sich die Produzenten fast so freuen wie seinerzeit Spielberg über elf Oscar-Nominierungen (wobei der Film aber bei allen leer ausging). Dafür, dass Lila 2024 wenigstens einmal zu Gold werden könnte, sorgt in der Kategorie »Beste Nebendarstellerin« vielleicht Danielle Brooks (die auch in der Broadway-Produktion von 2015 spielte). Was vielleicht auch dem Umstand geschuldet ist, dass es den allesamt allzu scha­blonenhaften »Misters« in »Die Farbe Lila« kaum gestattet war, Preiswürdiges zum Film beizutragen.

»Die Farbe Lila«, Regie: Blitz Bazawule, USA 2023, 141 Min., bereits angelaufen

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