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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 8 / Abgeschrieben

Christine Buchholz: Warum ich das Bundestagsmandat nicht annehme

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Christine Buchholz auf einer Kundgebung zum Antikriegstag (Berlin, 1.9.2013)

Christine Buchholz, die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, begründete am Montag in einer auf ihrer Website veröffentlichten Erklärung, warum sie das erneute Bundestagsmandat infolge der Berliner Wiederholungswahl nicht antreten wird:

Am 11. Februar fand in Berlin eine Wiederholungswahl statt. Aufgrund des bundesdeutschen Wahlsystems hat der Verlust des Mandats des Abgeordneten Pascal Meiser aus Berlin dazu geführt, dass ich ein Mandat erhalten habe. Ich werde dieses Mandat nicht antreten.

Im Frühjahr 2021 hat mich die hessische Linke zum vierten Mal für ihre Landesliste nominiert. Ich hatte in den zwölf Jahren davor als Mitglied des Bundestags meinen Schwerpunkt in den Bereichen Krieg und Frieden sowie im Kampf gegen rechts, speziell in der Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus.

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben mich wiederholt in Konflikt mit der mehrheitlichen Linie der Partei und der Fraktion gebracht. Das betrifft sowohl einen defensiven Umgang mit der Kritik an der NATO und der deutschen Rolle im Krieg um die Ukraine als auch ihr Versagen in der Kritik der deutschen Unterstützung für Israels Krieg in Gaza. Gerade vor dem Hintergrund der Mobilmachung gegen das mit über einer Million Geflüchteten überfüllte Rafah an der Grenze zu Ägypten wird das tödliche Ausmaß dieses Versagens deutlich. Die Linke wird ihrer Aufgabe als Antikriegspartei in den aktuell entscheidenden Situationen nicht gerecht. Die Annahme des Mandats würde mich nun in einen ständigen Konflikt mit der Linie der Parteispitze und der Gruppe der Linken im Bundestag bringen. Ich sehe dort momentan keinen Raum für meine Positionen in diesen Fragen.

Die Wagenknecht-Partei BSW ist für mich keine Alternative. Ihre Argumentation für eine Begrenzung der Migration knüpft an die »Das Boot ist voll«-Rhetorik des rechten politischen Spektrums an. Ihr Standortnationalismus schwächt eine linke und internationalistische Perspektive in gesellschaftlichen Bewegungen, darunter insbesondere der Gewerkschaftsbewegung. (…)

Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR)– Bund der Antifaschisten berichtete am Montag über Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch zum »Tag der Ehre« in Budapest:

Am 10. Februar gedachten in Budapest Antifaschisten aus mehreren europäischen Ländern (…) der Befreiung der Stadt durch die sowjetische Armee, unterstützt durch den ungarischen Widerstand. Auf dieser Veranstaltung waren beeindruckende Reden zu hören von der stellvertretenden Bürgermeisterin von Budapest, Vertretern der Zivilgesellschaft und – als Höhepunkt – von der Holocaustüberlebenden Katlin Sommer.

Antifaschisten aus Italien und Deutschland verurteilten in ihren Beiträgen die Art und Weise, wie die ungarische Justiz in einem Prozess gegen zwei junge Menschen handelt, die wegen einer Schlägerei mit politischen Gegnen angeklagt sind. (…)

Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass an diesem Tag mit Billigung und Unterstützung der ungarischen Regierung auf der anderen Seite des Flusses ein Naziaufmarsch zur Verherrlichung der SS, der Wehrmacht und ungarischer Kollaborateure mit weit über 1.000 Teilnehmern aus mehreren europäischen Ländern stattfinden konnte.

(…)

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  • Leserbrief von Ronald Prang aus Berlin (12. Februar 2024 um 20:54 Uhr)
    Ich ziehe meinen Hut und verbeuge mich vor der menschlichen und politischen Größe von Frau Christine Buchholz. Die Ignoranz und der Opportunismus der Parteiführung der Partei Die Linke hat sie in eine Ecke gestellt, in die sie nicht gehört. Es beweist ein weiteres Mal, wie weit diese Funktionsträger/innen sich von der Lebensrealität ihrer möglichen Wähler entfernt haben. Dass sie nicht zu den Populisten und »Wagenknechten« gewechselt ist, lässt mich trotz alledem darauf hoffen, dass die Partei Die Linke noch eine Zukunft hat. Es ist so dringend notwendig, dass eine linke Fraktion im DBT präsent ist und das sollten nicht Personen sein, die mit populistischen Parolen versuchen, Nationalismus und Sozialismus zu vereinen. Das ist der Fehler der Vergangenheit, auch wenn man es Patriotismus nannte, so war es am Ende doch nur Gruppenegoismus. So wie Dogmatismus und Demokratie sich widersprechende Prinzipien sind. Von Christine Buchholz kann jeder lernen, was es heißt, ein demokratischer Sozialist zu sein, ohne die eigenen Ideale aufzugeben. Danke auch an die jW, dass Ihr dieses Interview veröffentlicht habt.

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