4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Gedämpfte Angriffslust

Vor Münchner »Sicherheitskonferenz«
Von Arnold Schölzel
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Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner »Sicherheitskonferenz«

Christoph Heusgen war von 2005 bis 2017 so etwas wie der Nationale Sicherheitsberater Angela Merkels, auch wenn es das Amt offiziell nicht gibt. Danach entsandte ihn die Kanzlerin als Botschafter zu den Vereinten Nationen. Als Ende 2021 bekanntgegeben wurde, dass er die Leitung der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) übernimmt, spuckte er jene großen Töne, die Repräsentanten des deutschen Imperialismus seit jeher eigen sind: »Es wird von Deutschland Führung erwartet.« Und: »Viele Staaten können es sich eben nicht erlauben, sich mit China oder auch Russland anzulegen. Wir können das.« Heusgen ist ein echter BRD-Polterpatriot mit starken Anflügen von Größenwahn. Zum Abschied im UN-Sicherheitsrat im Juni 2021 rief ihm sein russischer Kollege hinterher: »Sie werden uns nicht fehlen.«

Die Angriffslust, mit der Heusgen in München antrat, ist heute etwas gedämpft. Das lässt sich aus seinem Auftritt zur diesjährigen MSC am Montag in der Bundespressekonferenz schließen. Er gab zunächst jene Flötentöne von sich, die zum Propagandanebel um die Veranstaltung seit deren Anfängen vor 60 Jahren gehören. Die am Donnerstag beginnende MSC, so ihr Chef, folge dem Motto »Frieden durch Dialog« – »auch außerhalb der Öffentlichkeit«. Diese Umschreibung dafür, dass das Treffen zu einem großen Teil in Hinterzimmern unter Waffenschiebern und den Massenschlächtern der westlichen Wertegemeinschaft abgewickelt wird, entlarvte Heusgen selbst als verlogen: Zum Dialog nicht eingeladen sind Russland, Iran, Nordkorea etc. Der Widerspruch führte selbst beim willfährigen Hauptstadtpressetross zu Nachfragen: Also für Krieg gegen einige statt Gespräche? Heusgen teufelte boulevardmäßig los, Putin sei der Meinung, »dass wir Weicheier sind«, aber: »Wir sind nicht müde« – ein Hauch von persönlichem Beleidigtsein breitete sich aus. Der russische Präsident müsse zunächst Selenskij anerkennen, der, was Heusgen nicht erwähnte, unglücklicherweise Verhandlungen mit Moskau per Gesetz verboten hat. Und benötigt werde »eine Art Minsker Abkommen«. Heusgen, der bei Minsk I und II 2014 und 2015 jeweils mitwirkte, weiß selbstverständlich, wer damit hinters Licht geführt werden sollte und wer laut Merkel Zeit für Aufrüstung gewann. Kiew dachte im Einverständnis mit seinen Sponsoren nie daran, die Vereinbarungen einzuhalten, sondern ließ schießen. Das kostete etwa 13.000 Menschen in der Ostukraine nach UN-Angaben das Leben. Da deutsche Großmedien nie darüber berichteten, muss auch Heusgen zum achtjährigen Krieg Kiews nichts sagen. Dialog mit Russland daher nur, wenn »wir« gesiegt haben.

Etwas verspätet fiel dem Siegfriedenshelden noch ein, dass auch der Außenminister Chinas zur MSC kommt. Mit dem will sich Heusgen offenbar nicht mehr anlegen, seine Angriffslust wirkte gedämpft. Einige Änderungen in der Welt dringen selbst nach München durch.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (14. Februar 2024 um 13:46 Uhr)
    Wieder einmal zeigt sich die Verlogenheit westlicher Politik, wenn Heusgen für Zwecke russisch-ukrainischer Friedensverhandlungen fordert, Putin müsse zunächst Selenskij anerkennen. Dabei hatte Putin zuletzt auch im Interview mit Tucker Carlson klipp und klar erklärt, dass Selenskij durchaus verhandeln könnte, aber es halt verboten habe. Putins Hinweise auf Legitimationsdefizite der Präsidentschaft Selenskijs sowie auf Selenskijs Hörigkeit gegenüber ukrainischen Nationalisten und gegenüber westlichen Diktaten können deshalb in keiner Weise dahin gedeutet werden, Putin wolle mit Selenskij nicht verhandeln. Oft genug hat er schon verhandelt, 2019 endete es mit der ukrainischen Ansage, ein Minsk 3 werde es nicht geben. Heusgen fordert es offenbar dennoch. Verhandlungen im März 2022 endeten nach einem Besuch von Boris Johnson in der Ukraine ebenfalls im Nichts. Auch jetzt streckt Putin die Hand zu Verhandlungen aus, wenn er Carlson gegenüber erklärt: »Sie sollen sich eine gesichtswahrende Lösung ausdenken. Es gibt immer Möglichkeiten, wenn der Wille da ist.« Heusgen verdreht die Fakten also mal wieder in ihr Gegenteil. Sein Mantra lautet: »Man dürfe keinesfalls mit Damaskus oder Moskau zusammenarbeiten« (jW 16.7.22). Den Fakten befiehlt Heusgen einfach, sich seinen Wünschen entsprechen auszurichten. Dass sich indes die Vergangenheit weigert, sich den Wünschen Heusgens anzupassen, kann man auch aus dem beispiellosen Abschiedsgruß ablesen, den Chinas stellvertretender Botschafter bei den Vereinten Nationen Heusgen 2020 hinterherschickte: »Aus tiefstem Herzen: ein Glück, dass wir Sie los sind.« Dank an China für diesen ausgezeichneten Kommentar.

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