4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 7 / Ausland
Mittlerer Osten

Regionales Pulverfass

Nahostkonflikt: Krieg mit Hisbollah, Islamischem Widerstand im Irak und Ansarollah könnte bei Rafah-Invasion eskalieren
Von Wiebke Diehl
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Kein militärisches Ziel: Bei den Angriffen auf Rafah wurde auch die Huda-Moschee zerstört (12.2.2024)

Man werde keine Gelegenheit auslassen, weitere Geiseln im Gazastreifen zu befreien, so der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag vormittag, nachdem es israelischen Spezialkräften in der Nacht zuvor gelungen war, in Rafah zwei Geiseln zu retten. Das geschah in einer gemeinsamen Operation der israelischen Armee, des Geheimdienstes Schin Bet und der israelischen Polizei. Um alle Geiseln freizubekommen, sei anhaltender militärischer Druck bis zum »vollständigen Sieg« nötig, so Netanjahu. Israelischen Angaben zufolge wurden die beiden 60 und 70 Jahre alten Männer aus dem zweiten Stock eines Gebäudes befreit. Bei einem gleichzeitig ausgeführten Angriff, der den Rückzug der Spezialkräfte ermöglichen sollte und an dem laut Augenzeugen Flugzeuge, Panzer und Schiffe beteiligt waren, wurden mindestens 67 Menschen getötet.

Insgesamt waren am 7. Oktober mehr als 250 Menschen in den Gazastreifen entführt worden. 105 kamen während einer Feuerpause im November frei. Aber bislang war keine einzige Geisel von der israelischen Armee befreit worden. Vielmehr mussten erst vor wenigen Tagen etwa 30 israelische Familien über den Tod ihrer Angehörigen informiert werden. Während Israel behauptet, die Hamas habe am 7. Oktober auch bereits Getötete verschleppt, gibt diese an, Dutzende Geiseln seien durch die israelischen Angriffe auf Gaza, bei denen bisher über 28.000 Palästinenser starben, ums Leben gekommen.

Derweil ignoriert die israelische Armee Forderungen aus aller Welt, von der angekündigten Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens abzusehen. Dort befinden sich derzeit statt der ursprünglichen 300.000 Einwohner 1,4 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas. Am Sonntag hatte Ägypten mit der Aussetzung des 1978 geschlossenen ägyptisch-israelischen Camp-David-Friedensabkommens gedroht, sollte die israelische Armee nach Rafah eindringen. Anstatt die Offensive abzublasen, sagte Israel am Montag, die UN-Behörden sollten »kooperieren« und bei der Evakuierung helfen.

Wohin die Menschen gehen sollen, sagte allerdings niemand. Rafah liegt direkt an der ägyptischen Grenze. Eine Vertreibung der Palästinenser außer Landes wird in der Region kaum hingenommen werden. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die vom Iran unterstützte »Achse des Widerstands«. Allein die libanesische Hisbollah verfügt über geschätzte 150.000 Raketen und Flugkörper und könnte damit jeden Ort in Israel treffen. Seit dem »Sommerkrieg« 2006 hat sie nicht nur ihr Arsenal erheblich aufgestockt, sondern zudem eine große Anzahl an Raketen mit Lenksystemen ausgestattet, die jetzt gezielt auf militärische Einrichtungen oder Kraftwerke gelenkt werden können. Die Kämpfe an der israelisch-libanesischen Grenze dauern seit Beginn des Gazakriegs in verhältnismäßig niedriger Intensität an, haben aber großes Eskalationspotential. Am Montag traf eine israelische Drohne den für die Region Marun Al-Ras verantwortlichen Hisbollah-Kommandeur Mohammed Ali Wadschih, der lebensgefährlich verletzt wurde. Hochrangige israelische Militärs haben Bedenken, ob die Armee einem Zweifrontenkrieg standhalten könnte.

Hinzu kommt der »Islamische Widerstand im Irak«, der neben US-Militärbasen auch Ziele in Israel angreift, um den Palästinensern zur Seite zu stehen, deren Vertreibung er nicht hinnehmen will. Genau wie die jemenitischen Ansarollah (»Huthis«), die in der Nacht zu Montag erneut ein Handelsschiff angegriffen haben, als es die Meerenge Bab Al-Mandab durchfuhr. Vorausgegangen waren am Sonntag neuerliche Bombardierungen von Stellungen der De-facto-Herrscher des Nordjemen durch das US-Militär, nachdem die Ansarollah am Sonnabend 17 bei einem US-amerikanisch-britischen Angriff vom Donnerstag getötete Kämpfer zu Grabe tragen mussten. Die Ansarollah haben mehrfach arabische Regierungen aufgefordert, einen Landkorridor zu schaffen, um ihren Kämpfern ein direktes Eingreifen im Gazakrieg zu ermöglichen.

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