4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Konflikt mit China

»Widerstand im Ukraine-Stil«

Taiwan: USA bereiten Streitkräfte der Insel und eigene Armee auf Krieg gegen Volksrepublik China vor
Von Jörg Kronauer
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Aufmarsch gegen Beijing: Taiwanischer Kampfjet landet auf der Luftwaffenbasis Hsinchu (2.1.2024)

Es ist die nächste Scheibe, die die Vereinigten Staaten von der Salami abschneiden: Im Rahmen der Aufrüstung Taiwans sind US-Spezialkräfte zur Zeit in größerer Zahl und wohl auch länger als zuvor zur Ausbildung taiwanischer Militärs auf der Insel stationiert. Das berichtete das US-Magazin Newsweek in der vergangenen Woche unter Berufung auf taiwanische Medien. Den Berichten zufolge handelt es sich um Angehörige der 1st Special Forces Group, einer zum Teil auf Okinawa stationierten, auf den Pazifik fokussierten Spezialeinheit, die auf zwei Stützpunkten des taiwanischen 101st Amphibious Reconnaissance Battalions untergebracht sind – auch dies Spezialkräfte, die jetzt von dem US-Sonderkommando trainiert werden. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert.

Der erste: Eigentlich haben US-Militärs auf Taiwan überhaupt nichts zu suchen. Das hat im Grundsatz sogar Washington selbst eingestanden, als es vor langer Zeit, am 28. Februar 1972, in einer Vereinbarung mit Beijing, dem Shanghai Communiqué, zusagte, es werde seine Truppen auf Taiwan »fortschreitend reduzieren«, und zwar mit dem Ziel, sie vollständig abzuziehen. Seit rund vier Jahren ist jedoch eine gegenläufige Entwicklung im Gang. Im Jahr 2020 wurde erstmals bekannt, dass US-Spezialkräfte taiwanische Einheiten trainieren. 2021 räumte die taiwanische »Präsidentin« Tsai Ing-wen dies auch offiziell ein. Handelte es sich zunächst um wohl nur etwas über zwei Dutzend US-Militärs, so eröffnete der im Dezember 2022 verabschiedete National Defense Authorization Act (NDAA) die Option auf mehr. Anfang 2023 dann berichtete das Wall Street Journal, die US-Regierung wolle zwischen 100 und 200 Soldaten nach Taiwan entsenden. Ihre Zahl nimmt also unter klarem Bruch des Shanghai Communiqué scheibchenweise immer weiter zu.

Der zweite Grund: Die Vereinigten Staaten bereiten Taiwan auf ein Szenario vor, wie es die Ukraine in den ersten Wochen nach Russlands Angriff vom 24. Februar 2022 erlebte. Damals war es für sie wichtig, etwa angreifende Panzer, Hubschrauber und tieffliegende Flugzeuge abschießen zu können, und zwar nicht in offener Schlacht, sondern mit kleinen, hochmobilen Einheiten. Dafür hatten die USA der Ukraine tragbare »Javelin«-Panzer- und »Stinger«-Flugabwehrraketen geliefert. Mit denselben Waffentypen rüstet Washington inzwischen auch die taiwanischen Streitkräfte aus. Außerdem trainieren US-Militärs taiwanische Soldaten in Kampftechniken, die sich für die ukrainischen Streitkräfte in den ersten Kriegswochen als nützlich erwiesen hatten. Dazu zählen auch Operationen von Spezialkräften, wie sie nun die 1st Special Forces mit den Soldaten des 101st Amphibious Reconnaissance Battalions proben. Die Strategie wird »Porcupine« (»Stachelschwein«) genannt.

Ausdrücklich bestätigt hat die Vorbildfunktion der frühen ukrainischen Abwehrmaßnahmen gegen Russland Ende März 2023 Michael Waltz, einst ein Offizier der US-Spezialeinheit »Green Berets«, mittlerweile republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus: Er erläuterte, auf Taiwan bereite man »Widerstand im Ukraine-Stil« vor. Denn Taipehs alte Strategie, die darauf zielte, angreifende chinesische Flugzeuge und Kriegsschiffe mit der eigenen Luftwaffe und der eigenen Marine abzuwehren, gilt mit Blick auf die erhebliche Aufrüstung der Volksrepublik und auf deren weitaus überlegene Streitkräfte als nicht mehr realistisch.

Parallel zur militärischen Ausbildung der taiwanischen Streitkräfte für die Abwehrstrategie à la Ukraine weitet Washington auch deren Aufrüstung in Salamitaktik aus. Schon während der Amtszeiten der US-Präsidenten Barack Obama und Donald Trump wurden die regulären Rüstungsexporte konsequent aufgestockt. Joseph Biden ist im August 2023 den nächsten Schritt gegangen: Er hat Taipeh erstmals Foreign Military Financing (FMF) gewährt. Das ist reguläre US-Militärhilfe, die aus staatlichen Mitteln kommt und bislang ausschließlich staatlichen Empfängern zugute kam. Der Vorteil, so ließ es sich die BBC im Herbst vergangenen Jahres von Experten auf Taiwan erläutern: Die Lieferungen müssen nicht die üblichen, oft recht langwierigen Genehmigungsverfahren durchlaufen, sind schnell und flexibel. Washington hat zunächst Hilfe im Wert von 80 Millionen US-Dollar gewährt. Das ist nicht viel – es könnte sich, so hieß es auf Taiwan, um weitere »Javelin« und »Stinger« handeln. Manche in Taipeh gehen aber davon aus, dass das FMF künftig in Milliardenhöhe aufgestockt wird.

Dabei bereiten die US-Streitkräfte nicht nur das taiwanische Militär, sondern auch sich selbst auf einen Krieg um Taiwan vor. Das muss nicht zwingend gleich der ganz große Krieg gegen China sein. Ende April 2023 übten US-Spezialkräfte auf heimischem Territorium Szenarien, bei denen es unter anderem darum ging, US-Soldaten während eines Krieges nach Taiwan zu schleusen. Warum? US-Spezialkräfte waren ab dem 24. Februar 2022 damit befasst, Waffen über die Grenze in die Ukraine zu bringen. Einige waren zudem in der Ukraine selbst unterwegs, zum Beispiel zu Aufklärungszwecken. Genau das plant Washington auch für den Fall eines Krieges um Taiwan. Nur: Auf eine Insel dringt man nicht so leicht unbemerkt ein wie über eine Landgrenze. Das erfordert wohl auch für US-Militärs Trainingsbedarf.

Was die aktuellen US-Ausbildungsmaßnahmen auf Taiwan anbelangt: Sie umfassen laut Newsweek unter anderem Übungen mit Drohnen, wie sie in der Ukraine genutzt werden. Sie finden außerdem zum Teil auf den Penghu-Inseln und auf Kinmen statt. An beiden Orten haben die taiwanischen Streitkräfte vorgeschobene Operationsbasen für die Spezialkräfte des 101st Amphibious Reconnaissance Battalions errichtet. Die Penghu-Inseln, die auch als Pescadores bekannt sind, liegen in der Taiwanstraße, allerdings noch etwas näher an Taiwan als am chinesischen Festland. Bei Kinmen ist das nicht mehr der Fall: Es liegt nur ein paar Kilometer vor der Festlandswirtschaftsmetropole Xiamen. US-Spezialkräfte, die dort taiwanische Sondereinheiten trainieren, tun dies in Sichtweite der Volksrepublik.

Hintergrund: Kriegsschauplatz Japan

Es soll eine Premiere sein: Vom 11. bis zum 14. März will die U. S. Navy zum ersten Mal einen Zerstörer im Hafen von Ishigaki ankern lassen. Ishigaki ist eine der Ryukyu-Inseln, die sich von Japans Hauptinseln in Richtung Südwesten bis Taiwan erstrecken. Sie gehört zu deren südlich von Okinawa gelegenem Teil, den Nansei-Inseln. Von Ishigaki aus ist Taiwan nur 300 Kilometer entfernt. Bislang hatten die USA nur kleinere Kriegsschiffe dorthin entsandt, doch auch dies hatte bereits entschlossene Proteste von Kriegsgegnern ausgelöst, die warnten, Japan könne – wie schon bis 1945 – erneut zum Kriegsschauplatz werden. Nun soll also ein US-Zerstörer kommen.

Ishigaki ist nur eine der Nansei-Inseln, auf denen die japanische Regierung in den vergangenen Jahren Militärstützpunkte errichtet hat. Eine zweite ist Miyako – etwas weiter von Taiwan entfernt –, eine dritte Yonaguni knapp 100 Kilometer östlich von Taiwan. Dort wurden zunächst rund 160 Soldaten stationiert. Vor rund einem Jahr beschloss Tokio den weiteren Ausbau der Truppenpräsenz. Dass sie ins Kreuzfeuer gerieten, sollte ein Krieg um Taiwan losbrechen, ist den rund 1.700 Einwohnern der Insel völlig klar. Deutlich wurde das zuletzt, als in der Nähe Raketen ins Wasser einschlugen, die China aus Protest gegen den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi abgefeuert hatte.

Auf Yonaguni werden längst auch gemeinsame Manöver Japans und der USA abgehalten. Das bislang größte fand im November 2022 statt und bezog Berichten zufolge auch weitere Nansei-Inseln ein. Im November 2023 folgte eine Katastrophenschutzübung, bei der Evakuierungsmaßnahmen für den Fall eines Tsunamis durchgespielt wurden. Allen war dabei aber klar: Ein Tsunami war nicht die einzige Katastrophe, mit der man auf den Nansei-Inseln und speziell auf Yonaguni rechnen musste. Die Gefahr eines Krieges um Taiwan ist dort längst präsent. (jk)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Februar 2024 um 11:16 Uhr)
    Trotz diplomatischer Anzeichen für eine verbesserte Beziehung zwischen China und den USA bleibt die Taiwan-Frage nach wie vor äußerst kontrovers. Unter der Führung Washingtons haben in jüngster Zeit viele Länder in Asien, Europa und darüber hinaus versucht, inoffizielle Beziehungen zu Taiwan aufzubauen, was in Beijing für neue Kopfschmerzen sorgt. Die Taiwan-Frage wird von China als eine innere Angelegenheit betrachtet, und Beijing betont klar, dass die Wahlen in Taiwan die grundlegende Tatsache, dass Taiwan zu China gehört, nicht ändern können. Obwohl China in den vergangenen Wochen versucht hat, seine Rivalität mit dem Westen zu mildern, indem es ausländische Investoren zurücklocken und Vertrauen in seine Wirtschaft schaffen möchte, bleibt die Taiwan-Frage ein heikles Thema. Die wirtschaftlichen Herausforderungen Chinas und der Bedarf an ausländischen Märkten, Investitionen und Technologie könnten dazu führen, dass Beijing in diesem Jahr eher einen kooperativen als einen konfrontativen Ansatz in der Außenpolitik verfolgt. Xi Jinping hat sogar signalisiert, dass China einen weniger konfrontativen Kurs einschlagen könnte. Dennoch gibt es die Erwartung, dass bei einer wirtschaftlichen Erholung Chinas eine kämpferischere Diplomatie folgen könnte. Xi äußerte sich kürzlich zweimal zur Taiwan-Frage und bekräftigte weiterhin, dass die Wiedervereinigung mit Festlandchina eine »historische Unvermeidlichkeit« sei. Die einzige offene Frage bleibt, wann und wie dies geschehen wird.

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