In Verteidigung des anderen
Von Barbara EderEs war kein Prozess wie jeder andere. Für den Vorwurf der Beleidigung von in Frankreich lebenden Muslimen musste sich der Chefredakteur des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, Philippe Val, im Februar 2007 in einem Prozess verantworten. Neben einigen deutschsprachigen Blättern sowie der jordanischen Schihan und der ägyptischen Al-Fadschr zählte Charlie Hebdo zu jenen Zeitungen und Zeitschriften, welche die in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten erstmals erschienenen Karikaturen erneut abgedruckt hatten. Die auch in der Charlie Hebdo-Spezialausgabe vom 8. Februar 2006 zu sehenden Bilder hatten einen Skandal ausgelöst, der als »Karikaturenstreit« bekanntgeworden ist.
Damals zählte der französische Anwalt Richard Malka zu den wichtigsten Fürsprechern von Charlie Hebdo. Im Jahr 1994 hatte er die Zeitschrift erstmals verteidigt, als sie wegen Antiklerikalismus vom Front National angegriffen wurde. Aufgrund der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen wurde Charlie Hebdo von der Union der islamischen Organisationen Frankreichs verklagt, und Malka erwirkte den Freispruch für Philippe Val. Der Sozialdemokrat François Hollande und der Konservative François Bayrou entlasteten Charlie Hebdo gleichermaßen aus dem Zeugenstand heraus, die linksliberale Tageszeitung Libération druckte am Tag des Prozessbeginns die Karikaturen aus Solidarität mit dem Satiremagazin erneut ab. Bei deren Kontextualisierung machte das französische Satiremagazin gegenüber anderen Zeitschriften einen bedeutsamen Unterschied: Die Karikaturen umsäumten den Text eines Manifests mit dem Titel »Pour la liberté d’expression«, der in Stellvertretung für die »Association du Manifeste des libertés« vom marokkanisch-französischen Intellektuellen Tewfik Allal unterzeichnet wurde. Verfasst wurde es von Menschen aus muslimischen Herkunftsländern, die sich dagegen zur Wehr setzten, als religiös identifiziert zu werden; sie forderten zu internationaler Solidarität mit Atheisten in- und außerhalb ihrer Herkunftsländer auf – abseits der paternalistischen Intention, andere für sich sprechen zu lassen.
In seinem im Herbst vergangenen Jahres erschienenen Buch »Das Recht, Gott lächerlich zu machen« hebt Richard Malka feine Differenzen wie diese hervor. Er rekapituliert die politischen Ereignisse vom Karikaturenstreit bis zum Attentat auf die Charlie Hebdo-Redaktion am 7. Januar 2015 und ergänzt die Chronologie um bislang wenig Bekanntes. Dazu zählt etwa die Tatsache, dass die Karikaturen aus der Jyllands-Posten nachträglich um drei weitere ergänzt wurden – mit der Intention, für Aufruhr zu sorgen. Zwei der Zeichnungen waren Fälschungen von einer Website US-amerikanischer Anhänger und Anhängerinnen der White Supremacy-Bewegung, die gezielt antimuslimischen Rassismus schüren sollten. Eine davon zeigt eine Art Teufel, der zwei kleine Puppen in den Händen hält, die zweite Karikatur einen betenden Muslim, der von einem Hund penetriert wird.
Beide Bilder lagen jener Mappe bei, die dänische Imame aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft im Dezember 2005 verbreiteten. Im Zuge ihrer Propagandatour durch die arabischen Hauptstädte erreichten sie weite Teile der islamischen Welt. Erst in Reaktion darauf fanden weltweit gewalttätige Ausschreitungen statt. Nach dem Erstabdruck der Karikaturen in der ägyptischen Zeitschrift Al-Fadschr im Oktober 2005 war hingegen monatelang nichts passiert. Details wie diese wurden im Prozess vom Dezember 2020 zu Beweisen gegen die Attentäter vom Januar 2015. Malkas Plädoyer richtet sich nicht nur gegen den religiösen Fanatismus der Täter; er argumentiert für das Recht auf Blasphemie und verteidigt damit das in Frankreich verfassungsmäßig verankerte Prinzip des Säkularismus.
Richard Malka: Das Recht, Gott lächerlich zu machen. Alibri, Aschaffenburg 2023, 95 Seiten, 10 Euro
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