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Aus: Ausgabe vom 10.02.2024, Seite 8 / Inland
Afghanistan unter den Taliban

»Frauen können keinen Beruf mehr ausüben«

Kieler Bündnis möchte auf dramatische Situation der Afghaninnen aufmerksam machen. Ein Gespräch mit Shamsia Azarmehr
Interview: Gitta Düperthal
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Zwei vollverschleierte afghanische Frauen, die ihre Kinder in Untergrundschulen unterrichtet haben sollen (Kabul, 18.9.2023)

Um daran zu erinnern, dass die Menschen in Afghanistan noch immer leiden und Unterstützung benötigen, ruft das Bündnis »Don’t forget Afghanistan« für diesen Sonnabend in Kiel zu einer Kundgebung auf. Für Sonntag lädt es zum Kulturfestival ein. Wie ist die Lage aktuell unter der Taliban-Regierung?

Die Frauen in Afghanistan haben systematisch alles verloren. Atmen können sie noch, aber nicht mehr leben. Sie sind weiterhin widerständig, können aber ihr Gesicht nicht mehr zeigen. Oft werden sie grundlos schikaniert; etwa unter dem Vorwand, sie würden ihren Hidschab nicht ordnungsgemäß tragen, auf der Straße festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Sie können keinen Beruf mehr ausüben, wurden aus Hochschulen herausgedrängt. Die Taliban sprechen ihnen die Persönlichkeitsrechte ab. Queere Menschen müssen sich verstecken und untertauchen. Sie alle hoffen auf Veränderung. Wir als Bündnis wollen ihnen unsere Stimme leihen; öffentlich zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen.

Was haben Sie für dieses Wochenende konkret geplant?

Am Sonnabend kommt die afghanische Menschenrechtlerin Tamana Zaryab Paryani nach Kiel. Mit ihrem Protestcamp dort fordert sie die Weltgemeinschaft auf, die Gewaltherrschaft der Taliban in Afghanistan als Geschlechterapartheid und Verbrechen gegen die Menschheit zu benennen. Unser aus afghanischen und deutschen Aktivistinnen bestehendes Bündnis, das sich im Herbst 2021 gründete, wird sie unterstützen. In Afghanistan kämpfte Paryani zusammen mit ihren Schwestern für die Freiheit von Frauen und Mädchen, wurde dafür ins Gefängnis gesperrt und wochenlang gefoltert. Seit Monaten bringt sie nun ihren Protest auf die Straßen deutscher Städte. Am Sonntag wollen wir Begegnungen mit afghanischen Menschen ermöglichen und über die vielfältige Kultur des Landes informieren.

Was erwarten Sie von der Ampelregierung?

Aus meiner Sicht haben die deutsche Bundesregierung sowie die Weltgemeinschaft versagt. Mehrfach führten sie Gespräche mit den Taliban und verhandelten. Doch ich frage Sie: Wie kann man sich neutral gegenüber Extremisten geben, die die afghanische Bevölkerung, insbesondere Frauen und queere Menschen mit Terror überziehen? Die Bundesregierung sollte statt dessen mit den gegen die Taliban opponierenden Frauen dort sprechen, damit sie ihre Freiheit wieder erhalten, die Terrorgruppe aber unter Druck setzen. Vor deren Herrschaft waren Frauen längst ohne Kopftuch unterwegs, vor allem in Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif. Nun sind sie in der Stadt und auf dem Land unterdrückt.

Sie wollen »die widerständige Stärke der Bevölkerung« mit Ihrem Bündnis stärken – wie das?

Wir können es nicht hinnehmen, dass aktive afghanische Frauen immer wieder Repressionen erleiden. Diejenigen, die es geschafft haben, nach Deutschland zu fliehen, wollen ihnen beistehen; deren Protest im Exil für sie stellvertretend laut werden lassen.

Sie beklagen in einer Erklärung, in der Berichterstattung über Afghanistan werde die Seite des kulturellen Reichtums kaum beleuchtet. Es sei nur von Terror, Krieg und Krise die Rede. Daran kann man aber wohl kaum vorbeisehen, oder?

Das von Afghanistan vermittelte Bild – von Terrormilizen oder auch von Frauen mit Burka, die Gewalt erleben – ist einseitig. Immer wieder zeigen Frauen Mut, versuchen ihre Kultur zu leben. Oft müssen sie es heimlich tun. Meine persönliche Erfahrung ist, dass man hierzulande kaum wahrnimmt, wie gebildet Frauen dort sind. Ich selbst habe zum Beispiel Politikwissenschaft studiert. Es gilt zudem, den Widerstandsgeist der Bevölkerung zu würdigen, zugleich aber die Verbrechen der Taliban zu benennen. Mit unseren Veranstaltungen am Wochenende erfassen wir beide Aspekte: die politische und die kulturelle Seite.

Shamsia Azarmehr ist Sprecherin des Bündnisses »Don’t forget Afghanistan«

Sonnabend: Protestcamp 10–20 Uhr, Kundgebung 15-17 Uhr, jeweils Asmus-Bremer-Platz, Kiel

Sonntag: Resistance-Festival, 13-20 Uhr, Kulturforum Kiel, Andreas-Gayk-Str. 31

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