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Aus: Ausgabe vom 10.02.2024, Seite 5 / Inland
Bürgergeld

Jobturbo geht nach hinten los

Weniger ukrainische Flüchtlinge in Arbeit, weniger in Sprachkursen: Volkszorn auf Privilegien wird geschürt
Von Alexander Reich
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Jobberatungszentrum für ukrainische Geflüchtete in Köln

Um ukrainische Kriegsflüchtlinge in Jobs zu bringen, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor drei Monaten einen »Jobturbo« gezündet. Die Wortwahl legte einen Kickstart nahe, aber Pustekuchen. Soviel steht nach am Freitag veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) fest. Dort waren im Januar 519.009 erwerbsfähige Ukrainer gemeldet. Von denen gingen 23.262 einer »ungeförderten Erwerbstätigkeit« nach, 748 weniger als im Vormonat. Der Anteil derer, die aus der Erwerbslosigkeit heraus eine zumindest geringfügige Beschäftigung aufnahmen, war entsprechend bescheiden: 1,2 Prozent der Frauen und 2,4 Prozent der Männer. Ein Jahr zuvor waren es noch 1,7 bzw. 3,4 Prozent gewesen.

Nun könnte man meinen, gut Ding wolle Weile haben und die Ukrainer seien mit Heils »Jobturbo« zunächst in Sprachkurse befördert worden, damit sie eines Tages Jobs annehmen können, die ihren oft recht hohen Bildungsabschlüssen entsprechen. Aber auch die Zahl der Ukrainer in Integrationskursen zum Spracherwerb sank im Januar laut BA um 3.619 zum Vormonat auf nunmehr noch 124.467.

Heil hat zuviel versprochen und kürzlich dann auch erklärt, dass man in Deutschland nicht für jede Arbeit »zugespitzt formuliert: ein abgeschlossenes Germanistikstudium« brauche. Im Klartext hieß das, auch die gelernte Biochemikerin möge doch bitte einen der Jobs machen, die Geflüchtete hierzulande nun mal erledigen. Die meisten sind Reinigungskräfte, gefolgt von Zustellern, Lageristen, Kraftfahrern, Küchenhilfen und Verkäufern. Alles mies bezahlte Maloche, und überall herrscht »Fachkräftemangel«.

Ukrainerinnen, die nach Beginn des Kriegs mit offenen Armen empfangen wurden, da ihre Männer an der Front die »Freiheit des Westens« verteidigen, sollen nun also zum Putzen gezwungen werden. Eine enorme Fallhöhe, aber von der Willkommenskultur ist nach zwei Jahren Inflation und wirtschaftlichem Niedergang nicht mehr viel übrig. Statt dessen wird nun überall der Volkszorn geschürt auf die Privilegien ukrainischer Flüchtlinge, die Bürgergeld beziehen, ohne vom Jobcenter mit Arbeitsangeboten behelligt zu werden, das in ihrem Fall auch unangemessene Wohnungen bezahlt. Und eine Überprüfung ihrer Angaben zum Vermögen im Ausland ist völlig illusorisch. Das bringt den deutschen Michel auf die Palme.

Noch bedrohlicher als für die Ukrainerinnen, deren Ausbeutung oft an fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten scheitert, scheint die allgemeine Stimmung für die rund 220.000 ukrainischen Männer, die Bürgergeld beziehen, statt an die Front zu marschieren. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat neulich in der ARD vorgeschlagen, »dieses Geld« nicht länger auszuzahlen, sondern »in unseren Haushalt einfließen« zu lassen, den ukrainischen Landeshaushalt – man würde es dann schon verteilt bekommen. Dagegen will der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter »das Bürgergeld für wehrfähige Männer schlichtweg kürzen«. Sie werden als Kanonenfutter gebraucht.

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