»Wir sind an der Regierung, nicht an der Macht«
Interview: Elias KorteKolumbiens Regierung unter der Führung von Präsident Gustavo Petro hat nun bald zwei Jahre im Amt hinter sich. Welches Zwischenfazit ziehen Sie als Teil des linken Flügels der Koalition?
Petros Projekt ist kein revolutionäres, sondern ein reformistisches. Es zielt auf eine Modernisierung der Gesellschaft. Die enorme Konzentration des Grundbesitzes erinnert eher an eine feudale Produktionsweise als an modernen Kapitalismus.
Können Petro als Präsident und Ihre Koalition solch tiefgreifende Veränderungen denn einfach umsetzen?
Wir sind zwar an der Regierung, aber nicht an der Macht. Die liegt weiter in den Händen einer reaktionären Klasse und ist eng verwoben mit der organisierten Kriminalität. Sie haben über die Jahrzehnte auch eine juristische Struktur geschaffen, die sich nicht mal eben ändern lässt – ganz abgesehen von dem ganzen Personal in den Ministerien.
Das klingt nach enormen Widerständen. Wieviel konnten Sie in anderthalb Jahren erreichen?
Die Regierung priorisiert die soziale und die Landfrage. Mit einer progressiven Steuerreform wollten wir die Ölförderung multinationaler Unternehmen besteuern. Die wurde zum Teil aber vom Verfassungsgericht einkassiert. Dadurch entgehen uns sechs Billionen Pesos (etwa 1,4 Milliarden Euro, jW), die nun für die Sozialpolitik fehlen. Sehr positiv sehen wir die außenpolitische Rolle von Petro. Er vermag es, sich in den großen Debatten Gehör zu verschaffen, zum Klimawandel, zum Krieg in der Ukraine, in der klaren Ablehnung des Genozids am palästinensischen Volk. Die Regierung steht angesichts der zahlreichen Kampagnen der Rechten und der politisch instrumentalisierten Generalstaatsanwaltschaft unter Druck. Sicherlich müsste sie auch in einigen Punkten konsequenter handeln.
Die Arbeitslosigkeit und die Kindersterblichkeit sind gesunken, der Mindestlohn gestiegen, der Tourismus gewachsen … Dennoch sind die Umfrageergebnisse von Petro längst nicht mehr so gut wie zu Beginn seiner Amtszeit. Woran liegt das?
Das liegt vor allem an der Diskreditierungskampagne der Rechten. Die Regierung hat aber definitiv auch das Problem, sich nicht gut genug zu erklären. Während der Präsident eine besondere Fähigkeit hat, den Kontakt zur Bevölkerung zu halten, gelingt es der Regierung nur unzureichend, ihre Tätigkeit bekannt zu machen.
Für wie realistisch halten Sie das Vorhaben von Petro eines »totalen Friedens«, also weiterer Friedensabkommen mit den verbliebenen bewaffneten Gruppen? Die Verhandlungen kommen teils nicht voran, während die Gewalt in einigen Landesteilen wieder zunimmt …
Die Nichteinhaltung vorheriger Abkommen macht es schwer, die bewaffneten Akteure zu überzeugen, dass der Staat sich diesmal an die Vereinbarungen halten wird. Aber wenn in den von Gewalt betroffenen Regionen keine Fakten geschaffen werden, wenn die Morde an sozialen Führungspersönlichkeiten und Exguerilleros und die Entführungen nicht weniger werden, wird es der Politik des »totalen Friedens« an Unterstützung fehlen. Und was den Anstieg der Gewalt betrifft, hat das nicht nur mit dem politischen Konflikt zu tun. Ein erheblicher Teil ist auf Kriminalität in den Großstädten und die wiederum auf fehlende Perspektiven für die Jugend zurückzuführen.
Wie bewerten Sie die Außenpolitik Petros und die Beziehungen zu den USA, China und der EU?
Keine kolumbianische Regierung kann die Beziehungen zu den USA vernachlässigen, die ein wichtiger Handelspartner sind und mit denen es eine enge militärische Zusammenarbeit gibt. Petro ist damit bisher pragmatisch umgegangen. Er setzt auf gute Beziehungen zu den USA, ohne Kolumbien unterzuordnen, und agiert in außenpolitischen Fragen autonom. Die Beziehungen zu China haben sich deutlich intensiviert. Auch im Verhältnis mit der EU hat sich unsere Position stetig verbessert.
Welche Schlüsselprojekte hat sich die kolumbianische Regierung für dieses Jahr vorgenommen, und welche Schwerpunkte möchten Sie als linker Teil der Regierung setzen?
Die Regierung priorisiert Reformen in den Bereichen Gesundheit, Arbeit, Rente und Bildung. Der Bergbau, mit dem viele Konflikte zusammenhängen, soll stärker reguliert werden. Wir wollen die neoliberale Politik überwinden und den Weg ebnen für eine neue Politik im wirtschaftlichen und sozialen Bereich.
Gabriel Becerra ist Generalsekretär der Partei Unión Patriótica und Abgeordneter der kolumbianischen Regierungskoalition Pacto Histórico
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