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Aus: Ausgabe vom 09.02.2024, Seite 14 / Medien
EU-Medienpolitik

Ziel Datenhoheit

Europaweites Medienprojekt »TEMS« soll Gegengewicht zu US-amerikanischen Plattformen schaffen. Involviert sind auch Partner aus Non-Profit-Bereich
Von Barbara Eder
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»TEMS« fördert den Aufbau von Plattformen in Konformität mit dem europäischen Datenrecht

Im digitalen Kapitalismus ist das Sammeln und Extrahieren von Onlinedaten ein wachsender Geschäftszweig. Egal, ob über Webservices, Clouddienste oder Medienportale mit möglichen Konsumptionen – Plattformen wie Facebook, Academia.edu oder Youtube kapitalisieren die mit jeder Interaktion anfallenden Daten. Die Plattformeigentümer legen die Datenschutzbedingungen im Vorfeld fest und die Nutzer willigen oft ohne tiefere Kenntnis in sie ein; auf diese Weise entsteht ein enormer Pool an Serverdaten, der in die Entwicklung von neuen Dienstleistungen, Produkten und personalisierter Werbung fließt. Zudem fallen im Netz auch identitätsbezogene Anwenderdaten an: Facebook oder Google erheben sie, wenn wir uns über ihre Portale einloggen, um eine Zeitung zu lesen oder ein Posting zu »liken«.

Mit dem im September vergangenen Jahres an den Start gegangenen Projekt »TEMS« will die EU-Kommission den Datenfluss im Medienbereich nach Richtlinien der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) neu gestalten. »TEMS« fördert den Aufbau von Plattformen in Konformität mit dem europäischen Datenrecht, 43 Medien- und Technologieorganisationen nehmen drei Jahre lang an der Entwicklung eines »Trusted European Media Data Space« teil. Dazu zählen große Nachrichtenagenturen wie AFP, APA und die Deutsche Presseagentur ebenso wie kleinere Medieninitiativen – so etwa die französische Plattform Panodyssey, die Autoren und Leser zueinander bringen will, und das internationale Onlinearchiv der Freien Radios (CBA).

Mit einer Gesamtsumme von 16,5 Millionen Euro sollen die »TEMS«-Partner eine gemeinsame Datenstrategie verfolgen, Ziel ist unter anderem auch die Förderung regionaler Digitalmedien. Die Bekämpfung von Desinformationen und eine verbesserte Zielgruppenanalyse liegen ebenso im Fokus wie die Lenkung des Datenflusses in medialen Produktionsketten und die Einbindung von sogenannten KI-Werkzeugen für automatisierte Übersetzungen und erhöhte Datenkompatibilität. »TEMS« stellt bestehenden Initiativen finanzielle Mittel zur Verfügung und will zugleich zukunftsfähige technische Infrastrukturen entwickeln – das Konsortium setzt damit einen starken Kontrapunkt zu den Strategien marktbeherrschender US-Konzerne.

Das Cultural Broadcasting Ar­chive (CBA) mit Vereinssitz in Wien ist einer der wenigen »TEMS«-Partner aus dem Non-Profit-Bereich, die sich am europäischen Netzwerk zum gemeinsamen Datenaustausch beteiligen. Alexander Baratsits, Vorstand des CBA, hält das Vorhaben für eine komplexe Angelegenheit: Jeder Medienplattform liege ein anderes Datenmodell zugrunde und es sei allein schon in technischer Hinsicht schwierig, Kompatibilität zwischen den unterschiedlichen Onlinepräsenzen herzustellen. »Das geht bis zur Frage, welche Kommunikationsprotokolle man verwendet«, meint Baratsits, der für eine Datenfreigabe auf Basis der Einwilligung durch die Nutzer optiert. Besonders diffizil gestalte sich auch die Indizierung von Inhalten für die gemeinsame Onlinesuche – Artikel von Autoren aus Polen erscheinen zuerst auf Polnisch, die der Spanier auf Spanisch. Ein denkbares Konzept wäre es, in einer Sprache zu suchen und zugleich auch die aus einer anderen Sprache übersetzten Inhalte zu bekommen; Informationen von polnischen Medienpartnern über das Wahlergebnis in Polen könnte man dann auch bei einer Suche auf deutsch erhalten.

»Wir wollen kein europäisches Youtube schaffen, sondern eine alternative Plattform«, gibt Alexander Baratsits unzweideutig zu verstehen. Von der Teilnahme an »TEMS« erhofft er sich, dass CBA in Zukunft auch von größeren Medienpartnern stärker wahrgenommen wird. Diesen könnte man bestimmte Inhalte durchaus auch kostenpflichtig anbieten. Neben einem B2B-Modell für kapitalstarke Nachrichtenagenturen stünde es den Nutzerinnen des Cultural Broadcasting Archive offen, einen eigenen Beitrag zu leisten – mittels freiwilliger Datenspende für vorab festgelegte Zwecke. Das internationale Podcast-Archiv der Freien Radios könnte auf diese Weise seinen Fortbestand sichern.

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