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Aus: Ausgabe vom 09.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Kanonenboot

Deutsche Fregatte im Roten Meer
Von Arnold Schölzel
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Wilhelmshaven, 8. Februar: »Feuer frei!« im Roten Meer für die Fregatte »Hessen«

Die Entsendung deutscher Kriegsschiffe zur angeblichen Abwehr von Waffenschmugglern (Libanon) oder Piraten (Horn von Afrika) wurde seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 Gewohnheit. Nun erweitert sich das Angebot: Die Fregatte »Hessen« lief am Donnerstag zu einem »scharfen Waffengang« aus, so Marineinspekteur Jan Christian Kaack im Bundeswehr-TV. Ab jetzt soll demnach auf ferne Küsten geschossen werden. Das Bundestagsmandat fehlt noch, ist aber Formsache. Wer die »Zeitenwende« von Olaf Scholz zum Zentrum seines Weltbildes gemacht hat, kennt nur noch Flucht nach vorn: An jedem Krieg des Westens teilnehmen. Kern neokolonialer Außenpolitik ist: Diplomatie unterbinden und Frieden verhindern.

Den Übergang zum scharfen Schuss probte die deutsche Marine zusammen mit Verbündeten im vergangenen Jahr zuerst gegen Russland. Das Seemanöver »Northern Coast« fand im September vor den Küsten Estlands und Lettlands erstmals unter deutscher Führung statt. Erstmals wurde Krieg nach Artikel fünf des NATO-Vertrages – Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand bei einem Angriff auf ein Paktmitglied – zusammen mit 14 weiteren Ländern geübt. So sieht Eskalation aus, ohne dass sie öffentlich wahrgenommen wird. Russland hat sich schließlich immer mehr den NATO-Grenzen genähert.

Beim »wir reagieren doch nur« blieb Kaack pflichtgemäß auch am Donnerstag. Die »Hessen«-Kanonenbootmission begründete er wie seit 1991 in allen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« der Bundeswehr nicht ganz wertegeleitet und regelbasiert: »Freie Seehandelswege sind die Grundlage unserer Industrie, aber auch unserer Verteidigungsfähigkeit.« Vor 14 Jahren flog wegen ähnlicher Sätze noch ein Bundespräsident aus dem Amt, die Armee durfte schon länger sagen, dass es um Rohstoffe und Märkte geht. Wer in »unseren« Kolonien scharf schießen soll, muss auf »wir sind die Guten«, auf Hypermoral, pfeifen. Es reicht deren Verkörperung durch Annalena Baerbock. Demnächst, kündigte Kaack in diesem Sinne an, werden ein großes deutsches Versorgungsschiff und die Fregatte »Baden-Württemberg« wieder im Indischen und Pazifischen Ozean sein. Denn »wir« richten uns für einen »langen Zeitraum« dort ein. Die Marine Chinas hat 370 Schiffe, die deutsche 48 und die Nachbarn Chinas fürchten sich. Da ist doch wohl jedes bewaffnete deutsche Boot willkommen.

Ein Zufall, dass die »Hessen« Wilhelmshaven verließ, als Kanzler Scholz das Flugzeug nach Washington bestieg. Dort droht der Stopp des Nachschubs für den Krieg gegen Russland, also Frieden – ein Alptraum. Und eine Chance für Scholz. Die FAZ gab am Donnerstag als Kommentar aus dem Bundeskanzleramt wieder: »Damit ist Biden stärker auf das Land angewiesen, ohne das nach amerikanischer Lesart in Europa nichts funktioniert: Deutschland.« Das ist jeden Schuss der »Hessen« wert. »Wir« sind unentbehrlich.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (10. Februar 2024 um 17:21 Uhr)
    »Von Anfang an glaubte ich nicht an den Sieg und wußte nur eines gewiß: daß selbst wenn er unter maßlosen Opfern errungen werden könnte, er diese Opfer nicht rechtfertige. Aber immer blieb ich allein unter all meinen Freunden mit solcher Mahnung, und das wirre Siegesgeheul vor dem ersten Schuß, die Beuteverteilung vor der ersten Schlacht ließ mich oft zweifeln, ob ich selbst wahnsinnig sei unter all diesen Klugen oder vielmehr allein grauenhaft wach inmitten ihrer Trunkenheit.« (Stefan Zweig: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Die Welt von Gestern, Erinnerungen eines Europäers. S. Fischer, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-10-097047-0, S. 290.)

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