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Aus: Ausgabe vom 07.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Washingtons Dilemma

Angriffe im UN-Sicherheitsrat
Von Jörg Kronauer
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Sitzung des UN-Sicherheitsrats im UN-Hauptquartier in New York (5.2.2024)

Chinas UN-Botschafter Zhang Jun hatte vollkommen recht, als er am Montag abend in der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats mahnte, man stehe im Nahen und im Mittleren Osten vor einer »kritischen Wegscheide«. Die USA hatten, das war der Anlass der Sitzung, Syrien und den Irak mit einer Welle von Luftangriffen überzogen, und sie kündigten weitere harte Attacken an. Man musste davon ausgehen, dass die schiitischen Milizen in der Region, die von den Bomben und Raketen getroffen wurden, ihrerseits Vergeltung üben würden: ein »Teufelskreis«, warnte Zhang, und er forderte, Washington müsse ihn durchbrechen. Dass es keine militärische Lösung für all die Probleme in Nah- und Mittelost gebe, das wisse man mittlerweile zur Genüge.

Zhang trug die Forderung, das Bomben und Schießen doch endlich einzustellen, der Form nach im allgemeinen Friedens-, dem Inhalt nach aber auch klar in Chinas Interesse vor. Beijing hat, als es im vergangenen Jahr einen Ausgleich zwischen Saudi-Arabien und Iran vermittelte, nichts Geringeres als eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens initiiert. Die bisherige, von den USA dominierte Ordnung basierte darauf, die Staaten der Arabischen Halbinsel, am liebsten im Bündnis mit Israel, gegen Iran in Stellung zu bringen und so ein prekäres Gleichgewicht zu schaffen, das sich über abhängige Parteigänger etwa in Riad kontrollieren lässt.

Der neue Ausgleich zwischen Riad und Teheran, den Beijing weiter fördert, macht diesen Plan zunichte. Er bahnt statt dessen den Weg für eine neue Ordnung, in der die Rivalitäten der Regionalmächte ökonomisch ausgetragen werden. Diese benötigen dafür Investitionen, die wiederum China zu stellen bereit ist. Chinesische Unternehmen wollen Milliarden in Projekte in Saudi-Arabien stecken und haben, wie am Dienstag bekannt wurde, allein im vergangenen Jahr zwei Milliarden US-Dollar in Iran investiert. Das Konzept geht nur auf, wenn künftig nicht mehr geschossen wird. Insofern deckt es sich, zumindest auf absehbare Zeit, mit dem allgemeinen Interesse am Ende der Gewalt im Nahen und Mittleren Osten.

Und die USA? Beijing besitzt genügend ökonomisches Gewicht, um sie langfristig in der Region auf den zweiten Rang zu verdrängen. Es kann sich den Frieden machtpolitisch leisten, Washington eher nicht. Auch der Krieg bringt den Vereinigten Staaten aber Probleme: Sie verkämpfen sich einmal mehr fernab der Asien-Pazifik-Region, in der sie sich gegen China in Stellung bringen wollen. Bliebe die Option, Saudi-Arabien doch noch irgendwie gegen Iran aufzustacheln. Das aber gelingt Washington weiterhin nicht: Am Montag trafen sich führende Generalstabsvertreter aus Riad und Teheran, um eine engere Kooperation in Sachen Sicherheit in die Wege zu leiten. Die USA suchen sich also mangels gangbarer Alternativen militärisch zu behaupten. Die Gefahr, dass sie dabei die neu entstehende Ordnung in Blut ertränken – dann aber auch selbst zum zigsten Mal in Mittelost feststecken –, ist groß.

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  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (7. Februar 2024 um 11:51 Uhr)
    Auch wenn der Grundton des Artikels ein anderer ist: Jeder Staat tut nur das, was ihm von Vorteil ist. Kooperationen sind keine Liebesbeziehungen. Sie kommen zustande, wenn die beteiligten Staaten für sich mehr Vorteile als Nachteile darin sehen. Sie enden, wenn für mindestens einen der Beteiligten diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist. So würde ich auch das Verhältnis Iran–Saudi-Arabien sehen. Menschenrechte spielen in beiden Staaten ohnehin keine große Rolle. Und China kann, indem es die Kooperation Iran–Saudi-Arabien organisiert hat, seinen Einfluss in dieser Region vergrößern. – Apropos China: Wenn die selbst gesetzten Ziele anders nicht zu erreichen sind, zieht auch China, und nicht nur die USA, militärische Mittel in Betracht. Stichwort Taiwan!

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