4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 06.02.2024, Seite 4 / Inland
Ampel versus AfD

Gratismut im Kanzleramt

Berlin: Scholz und Staatsministerin reden mit Migrantenverbänden. Linke legt ökonomisches Sofortprogramm gegen AfD vor
Von Marc Bebenroth
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Reem Alabali-Radovan (r.) und Olaf Scholz (beide SPD) am Montag in Berlin

Wer die Axt an den Sozialetat anlegt, will dem Rechtsruck materiell nichts entgegensetzen. Doch Reden kostet nichts, weiß auch die Bundesregierung. Am Montag haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (beide SPD) im Regierungssitz in Berlin mit mehreren Verbandsvertretern getroffen, um über die Bedrohungen durch »Rechtsextremismus« in der Bundesrepublik sowie über die Lebenserfahrungen von Migranten zu sprechen. »Wir stehen fest an ihrer Seite«, behauptete Scholz im Anschluss. Die Demonstrationen am Wochenende gegen die AfD begrüßten er und Alabali-Radovan ausdrücklich. Laut dem Bundesinnenministerium hatten sich bundesweit rund 480.300 Menschen bei 188 Veranstaltungen zusammengefunden.

Viele mit Migrationsgeschichte würden sich Sorgen machen angesichts der Vorstellungen, die Rassisten über Zwangsumsiedlungen verbreiteten. Damit verwies Olaf »Wir müssen wieder im großen Stile abschieben« Scholz auf das Bekanntwerden privater Treffen von rechten Unternehmern, Politikern und Faschisten, die sich im November in Potsdam über Massenabschiebungen auch deutscher Staatsbürger ausgetauscht hatten. Als Frau mit Migrationshintergrund sei auch Staatsministerin Alabali-Radovan von den rechten Deportationsfantasien nicht überrascht, eher aber von der zutage geförderten Dimension und den dahinter stehenden Netzwerken, sagte die Regierungsbeauftragte für Antirassismus. »Rassistische Diskriminierung ist Alltag für viel zu viele Menschen.« Einige Betroffene hätten Angst, einige seien »einfach nur erschöpft«, doch viele seien »wütend und entschlossen«, sagte Alabali-Radovan.

Auf Nachfrage teilte das Bundespresseamt im Anschluss an den Auftritt der beiden SPD-Politiker gegenüber junge Welt mit, wen sie sich eingeladen hatten. Demnach waren insgesamt neun Migrantendachverbände vertreten, darunter der Dachverband der Migrantinnenorganisationen e. V. (Damigra), der Polnische Sozialrat e. V., die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände e. V. (BAGIV) und mit »Amaro Drom« e. V. ein Verband für Jugendselbstorganisation von Romnja und Nichtromnja. Bei der zunächst ungenannten muslimischen Wohlfahrtsorganisation handelt es sich um den Sozialdienst Muslimischer Frauen. Auch drei Organisationen, die sich das Zurückdrängen von Rassismus auf die Fahne geschrieben haben, nahmen teil: die »Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit« (CLAIM), »Each One Teach One« e. V. (EOTO) und die Beratungsstelle für Opfer antisemitischer Gewalt und Diskriminierung (OFEK).

Alabali-Radovan forderte den Bundestag dazu auf, das im März 2023 eingebrachte »Demokratiefördergesetz« zu verabschieden. Vorab hatte dies ebenfalls Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gegenüber der Rheinischen Post vom Montag gefordert. Die erklärte Absicht laut Entwurf: die Verbreitung »extremistischer Tendenzen« frühzeitig verhindern, »Radikalisierungsprozesse rechtzeitig« unterbrechen und »das Bewusstsein für demokratische Werte und demokratische Kultur sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig« stärken. Im Papier heißt es jedoch zu Maßnahmen Dritter, dass diese keinen Rechtsanspruch auf Förderung erhalten sollen. »Die jeweils zuständige Bewilligungsbehörde« entscheide »im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel«.

Mehr vom Sein als dem Bewusstsein ausgehend, legte die Spitze der Linkspartei am Montag einen Forderungskatalog vor, mit dem die Volkswirtschaft der BRD angekurbelt und der AfD der politische Nährboden entzogen werden soll. »Das Land ist mittlerweile kaputtgespart«, teilten die Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan mit. Die aktuelle Kürzungspolitik der Ampelkoalition sei ein Konjunkturprogramm für die Rechten. »Damit muss endlich Schluss sein«. Benötigt werde ein »sozialer Antifaschismus«.

Wissler und Schirdewan fordern eine »historische Investitionswende« und nennen »bezahlbares Wohnen, ÖPNV, gute Pflege und Gesundheitsversorgung, Kita-Plätze, das versprochene Klimageld und bessere Bildungsangebote«. Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt will die Linkspartei durch eine ausreichende Finanzierung der Kommunen durch den Bund stärken. Reiche und Konzerne sollen »mit Vermögensabgabe und Milliardärssteuer endlich angemessen an den Kosten der Krisen beteiligt werden«. Dem Ressentiment, wonach Armutsmigranten dem Staat auf der Tasche liegen, halten Wissler und Schirdewan entgegen, dass »die reichen Steuerflüchtlinge« die teuersten seien.

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