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Aus: Ausgabe vom 06.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Noise

Fröhliche Verausgabung

Auf dem Album »TANGK« der britischen Postpunkband Idles wird der König mit unbestimmtem Ausgang abgewählt
Von Ken Merten
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Lieber Liebeslieder: Idles

Liebe ist ein schmieriger Boden. Dem haben sich Idles nun auf ihrem neuen Album angenommen. »Das ist unser Album der Dankbarkeit und Kraft. Allesamt Liebeslieder. Alles ist Liebe«, verrät Sänger Joe Talbot im Begleitschreiben der Promoagentur über »TANGK« – und damit verrät er nahezu nichts. Klar, die Postpunker aus dem englischen Bristol kannte man bislang als politisch motivierte Pöbler, Joy Division auf Brass und gleichzeitig zum Scherz aufgelegt, stets bereit, die irren Zustände schlau zu veräppeln.

Wie hieß es noch in »Stockholm Syndrome«? »A royalist and a drug user / Walk into a bar / Both buy their captors drinks / Accusing the other’s gone too far / Just give them enough rope / Just give them enough rope / How can I feel myself / When I can’t even feel my face? / I’ve got more stories to tell / But I can’t remember time nor place.«

Im Gegensatz zum Vorgängeralbum »Crawler« (2021), auf dem sich neben »Stockholm Syndrome« unter anderem auch »Wizz« und damit der zum Scheitern verurteilte Versuch findet, es mit den doch sehr gemäßigten eigenen Mitteln Napalm Death nachzutun, ist »TANGK« nun eine sanfte Größe. Schon Talbots Zungenschlag ist weit süßlicher, wenn auch nicht frei von gewohnt Schroffem, Verhärmtem, Apathischem. Soziale Rechte kann und muss man schließlich einfordern, bei Liebe geht das so nicht.

Dass beides, das Politische wie das Schöne, »mitsammen darstellbar« (Peter Hacks) sein kann und muss, das erfahren wir im Songwriting zu »Gift Horse«; zu hallendem Bass, teils verschwindend leisem Beckengeklimper und mal treibenden, mal sirrenden Gitarren, entfernt sich das lyrische Ich vom »King« dank der Skepsis der Tanzpartnerin dem Monarchen gegenüber: »My baby she’s so raw / I give her love and she gives me more / Ask us to kneel and bow to the floor / She say no and she ask what for / My baby she so strong / She talks me straight when I’m doing wrong / Ask us to sing your empire songs / She laugh tells you where I’m from / My baby she so great / I wake up grateful every day / My baby is beautiful / All is love and love is all / Fuck the king / He ain’t the king / She’s the king.« Es geschieht, was nicht geschehen kann im Kingdom: Der Regent ward abgewählt.

Die Einrichtung der relativ eigenständigen Tanzgesellschaft gelingt aber nicht mühelos, erfährt man durch »Dancer« samt dazugehörigem Video, in dem die Fünferbande als Avantgarde mit zuoberst offenem Hemd voranmarschiert. »Dancers, hip to hip / Dancers, cheek to cheek« ist im Kehrreim die Aufforderung zur Schließung der Reihen, vom Backgroundchor so unter- wie durchstrichen: »Collide us as we work it out.« Derweil sind die im Video auftretenden Alltagsmenschen als Putzkraft oder Kundin in der Autowerkstatt zum Tanzen so animiert wie aufgefordert; eine fröhliche Verausgabung. Nach dem Durchstoßen Huxleyscher Pforten zur Wahrnehmung und kurzer Zusammenkunft der Tanzkommune im rotstichigen Höllenparadies der geschwungenen Hüften, liegt die Kollegin in Arbeitskleidung und ausgelaugt auf dem Boden, den sie grad noch gewischt hat. Ob sie auch in einer besseren Welt liegt, das mag man nur bezweifeln, kann es aber nicht beweisen.

Unklare Aussichten, so unklar wie der Albumtitel: »TANGK« solle man laut Partisan Records so aussprechen wie das englische Wort für Panzer, das aber auch (Wasser-)Tank bedeuten kann und als »to go in the tank« auf einen Akt des vollumfänglichen Versagens verweist. Das eingeschobene »G« wiederum sei Lautmalerei, so das Independentlabel, die Vorstellung der Band von »der peitschenden Art und Weise«, wie sie ihre Gitarren bediene. »Tang« – ob peitschende oder liebkosende, angreifende oder anschmiegende – ist im Englischen die Eigenart von etwas oder jemand. »TANGK« – und das ist die genaueste Definition des Albums, die treffbar ist – ist eigenartig.

Idles: »TANGK« (Partisan Records/PIAS)

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