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Aus: Ausgabe vom 03.02.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ende der globalen Apartheid

Von Arnold Schölzel
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Die Lagerbildung in den internationalen Beziehungen, die mit dem »Ende des kolumbianischen Zeitalters« (Domenico Losurdo) einsetzt, fand nach der vorläufigen Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur Klage Südafrikas am 26. Januar gegen Israel wegen Verdacht des Völkermords selbst in der deutschen Presse Ausdruck. So kommentierte die Taz online noch am selben Tag: »Es ist schön, dass Hunderttausende hierzulande auf die Straße gehen, um gegen eine in Teilen rechtsradikale Partei zu protestieren, in der einige offen zu ihren Vertreibungsphantasien stehen. Seltsam nur, dass die Bundesregierung derweil auf internationaler Ebene eine in Teilen rechtsradikale Regierung unterstützt, in der manche aus ihren Vertreibungsplänen keinen Hehl machen.«

Im Freitag kommentierte Redakteur Lutz Herden, Südafrika sei »wie kaum ein anderer Staat dazu berufen, sich vor dem IGH gegen Israels Krieg in Gaza zu wenden.« Es habe die Apartheid »ohne Blutzoll« überwunden – ein Beispiel, das Israelis und Palästinensern helfen könne, »ein Auskommen zu finden.« Staaten wie Südafrika wirkten »heute wie letzte Hoffnungsträger, denen man zutraut, eine der Vernunft und Kontrolle entgleitende Weltordnung nicht vollends kippen zu lassen. Dabei hilft, durch das Auftreten vor dem IGH an Ansehen gewonnen zu haben. Anders als westliche Staaten.« Angemerkt sei: Einen Blutzoll hat es bei der Überwindung der Apartheid gegeben. Als sich Ende der 80er Jahre abzeichnete, dass der African National Congress (ANC) und die mit ihm verbundene KP Südafrikas die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte, begann der Bündnispartner des Apartheidregimes, die antikommunistische, Zulu-nationalistische und israelfreundliche Inkatha-Bewegung, den bewaffneten Kampf gegen den ANC. Südafrikanische Zeitungen berichteten damals, dass Israel Inkatha-Kämpfer ausgebildet habe. Nach Schätzungen forderte der Bürgerkrieg bis zu 30.000 Tote. Im ANC ist das nicht vergessen wie auch zuvor die Zusammenarbeit Israels mit dem Apartheidregime bis hin zur Entwicklung von Atomwaffen.

Als Südafrika am 29. Dezember 2023 die Klage beim IGH einreichte, wurde der globale Norden auf dem falschen Fuß erwischt. Und als der IGH den Völkermordverdacht auch noch »plausibel« fand, sahen sich die im Besitz des Rechts wähnenden Superrichter in Washington (»wertlos«), London (»unsinnig«) und Berlin (»entbehrt jeder Grundlage«) blamiert wie selten. Noch in der Nacht zum 27. Januar wurde, welch Zufall, das UN-Hilfswerk für Palästina (UNRWA) wegen Terrorverdachts an den Pranger gestellt, die IGH-Entscheidung ist versenkt. Außenministerin Annalena Baerbock brachte es am Mittwoch im Bundestag fertig, viel über UNRWA, dem sofort die Zuschüsse gestrichen worden waren, aber keine Silbe zum IGH zu sagen. Wie alle Redner an diesem Tag.

Repräsentativ drosch im Tagesspiegel am 27. Januar der »diplomatische Korrespondent der Chefredaktion«, Chistoph von Marschall, aus inbrünstiger Herrenvolksmentalität auf IGH und Südafrika ein: »Die Definition der Völkermordkonvention war klar. Und ebenso, dass Israels Vorgehen in Gaza sie nicht erfüllt. Warum hat der IGH den Fall überhaupt ernsthaft verhandelt? Weil der globale Süden gegen das internationale Rechtssystem aufbegehrt, das ein Produkt der westlichen Aufklärung ist.«

So lässt sich die Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses auch beschreiben: Wenn Ihr Euch aufs Recht beruft, ist das gegen das Recht. Jedenfalls gegen das, was »Wir« seit der Aufklärung besitzen und das komplette Rechtlosigkeit einschließt: Sklaverei, Kolonialismus und Hinrichtungskriege wie seit 1991 gegen auch nur mögliches Aufbegehren. Nicht nur Marschall wird sich daran gewöhnen müssen, dass die globale Apartheidära zu Ende geht.

Nicht nur Marschall wird sich daran gewöhnen müssen, dass die globale Apartheidära zu Ende geht.

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