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Aus: Ausgabe vom 03.02.2024, Seite 8 / Inland
Klassenjustiz

»Das Urteil kommt einem Berufsverbot gleich«

Hessen: Angehender Lehrer Luca S. zu Bewährungsstrafe verurteilt. Ein Gespräch mit Jan Schalauske
Interview: Gitta Düperthal
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Die Solidarität mit Luca S. ist international: Mitglieder des irischen »Connolly Youth Movements« (Bildschirmfoto, 2.2.2024)

Das Frankfurter Landgericht hat den angehenden Haupt- und Realschullehrer Luca S. aus Mainz am Mittwoch zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt, unter anderem wegen Landfriedensbruchs. Er will in Revision gehen, Sie haben am Donnerstag vor dem Gericht am Protest teilgenommen. Wie bewerten Sie das Urteil?

Luca S. nahm am 1. Mai 2021 an einer angemeldeten Demonstration teil. Menschen, die dabei waren, sagten aus, dass er nicht gewalttätig gewesen sei. Im Gegenteil habe er andere schützen und Rettungsarbeiten erleichtern wollen. Das scharfe Urteil gegen ihn kommt de facto einem Berufsverbot gleich. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Gerade in Zeiten des Rechtsrucks braucht es Menschen, die sich wie Luca demokratisch und solidarisch engagieren.

Er soll nicht gegen Polizisten vorgegangen sein, sondern einen verletzt am Boden liegenden Demonstranten geschützt haben, indem er einen neben ihm liegenden Rauchtopf wegwarf. So schildert eine Petition für den 27jährigen, angehenden Lehrer den Sachverhalt. Wie ist zu erklären, dass das Gericht dies nicht berücksichtigte?

Immer schärfere Gesetze und auf deren Grundlage strengere Urteile diskriminieren politisch aktive Menschen. Das sogenannte Versammlungsfreiheitsgesetz in Hessen, unter der CDU/Grünen-Regierung verabschiedet, schränkt das Demonstrationsrecht weiter ein.

Wie haben Sie die Solidaritätskundgebung vor dem Frankfurter Landgericht wahrgenommen?

Etwa 200 Menschen, darunter Schülerinnen und Schüler, sowie Kolleginnen und Kollegen, zeigten, welch breiten Rückhalt Luca hat. Aus dem Schulumfeld gibt es eine Resolution zu seinen Gunsten. Kürzlich wurde er in den Personalrat gewählt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, war stark vertreten. Wir fordern: »Lasst Luca lehren«.

Ehemals von Berufsverboten Betroffene erinnerten an den sogenannten Radikalenerlass von 1972 in der BRD. Durch den Inlandsgeheimdienst wurden Millionen Menschen aus dem linken Spektrum, Kommunistinnen und Sozialisten, durchleuchtet und mit Verfahren überzogen. Mehr als 50 Jahre später ist vom Hessischen Landtag noch nicht festgestellt, welch düsteres Kapitel der Erlass darstellt und wie er aufgearbeitet werden muss. Weder erfolgte eine Entschuldigung bei Betroffenen, noch politische und gesellschaftliche Rehabilitation oder finanzielle Entschädigung. Wir von der Linkspartei hatten das mehrfach beantragt. Das Urteil gegen Luca hat sicher alle Anwesenden empört.

In letzter Zeit häufe es sich in bedenklicher Weise, dass etwas gegen Linke konstruiert werde, kommentierte ein Unterstützer die Petition. Wie schätzen Sie das ein?

Dieses Vorgehen ist insbesondere besorgniserregend, da aktuell viele Parteien nach rechts rutschen und zugleich eine von ganz rechts außen die Demokratie bedroht.

Das hessische Kultusministerium untersagte Luca S. bereits nach dem ersten Urteil, sein Referendariat zu machen, weil er vorbestraft sei.

Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, dass das Ministerium sein Urteil schon gefällt hatte, obwohl das des Gerichts noch nicht rechtskräftig war. Das ist ein bedrohliches Szenario, einen politisch solidarisch gesinnten Lehrer, der ein hohes Ansehen in der Schulgemeinde hat, zu kriminalisieren. Wir brauchen Menschen, die sich wie er für die Gesellschaft einsetzen.

Die Linke kann im Landtag ihre Stimme nicht mehr erheben, weil sie bei der Wahl 2023 den Einzug verfehlte – wie geht es nun weiter?

Im Landtag kann Die Linke keinen Druck aufbauen, um Luca zu schützen. In Frankfurt am Main hat sich aber ein Solidaritätskomitee gegründet. Auch die GEW wird weiter Druck machen. Als Partei werden wir außerparlamentarisch dafür kämpfen, dass politisch links stehende Menschen nicht eingeschüchtert werden. Wir haben uns immer gegen die Berufsverbotspraxis gestellt.

Jan Schalauske (Die Linke), zuletzt Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Hessen, nahm an der Solidaritätskundgebung für Luca S. teil

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