Stillstand für mehr Bewegung
Von David MaiwaldMit einem ganztägigen Warnstreik im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) legte die Gewerkschaft Verdi am Freitag große Teile der Bundesrepublik lahm. Die Beschäftigten wurden bei ihrem Arbeitskampf von 60 lokalen Gruppen der Klimaschutzorganisation Fridays for Future unterstützt. Die Aktivisten hatten unter dem Motto »Wir fahren zusammen« gemeinsam mit Verdi eine Petition zur Verdopplung des ÖPNV-Angebots bis zum Jahr 2030 erarbeitet. Der Aktionsaufruf des Bündnisses erklärt den Nahverkehr zum »Herzstück der sozialen und klimafreundlichen Mobilität für alle«.
Die im vergangenen Jahr erprobte fortschrittliche Aktionseinheit von Klimabewegung, Gewerkschaft und Nahverkehrsbeschäftigten konnte sich offenbar festigen. Auch die Klimagerechtigkeitsbewegung »Ende Gelände« hatte zur Unterstützung von Streikposten und Demonstrationen am Freitag aufgerufen. In Weimar seien etwa 200 Streikende von 80 Klimaaktivisten auf einem gemeinsamen Demonstrationszug unterstützt worden, betonte Katja Barthold auf Anfrage der jW. »Wir haben unsere Ziele und Forderungen außerdem breit vermittelt. Es muss vor und am Streiktag mehr spürbar sein als nur ›Es kommt kein Bus‹«, so die Verdi-Thüringen-Gewerkschaftssekretärin mit dem Themenschwerpunkt Arbeitskämpfe.
Denn nach dem Beginn des aktuellen GDL-Arbeitskampfs der Lokführer und den Verdi-Streiks der Luftsicherheitskräfte am Donnerstag waren die ÖPNV-Aktionen innerhalb weniger Wochen der dritte bundesweite Transportarbeiterstreik mit Auswirkungen auf große Teile der Bevölkerung. »Völlig überzogen«, so das erwartbare Urteil von Bernhard Langenbrinck vom Kommunalen Arbeitgeberverband NRW gegenüber der ARD-»Tagesschau«. In 15 Bundesländern will Verdi die Bedingungen der bundesweit rund 90.000 Beschäftigten im Nahverkehr durch den Arbeitskampf insgesamt verbessern. Die Gewichtungen sind dabei regional unterschiedlich.
So verdienen die ÖPNV-Beschäftigten in Sachsen ab März rund 400 Euro mehr als die Kolleginnen und Kollegen in Thüringen. Diese Lücke, auch zu »vergleichbaren Beschäftigten im öffentlichen Dienst, ist nicht akzeptabel«, erklärte Verdi in einer Mitteilung. Viele würden den Beruf wechseln, weil sie dort mehr verdienen oder zumindest entspannter arbeiten könnten, wusste Gewerkschafterin Barthold gegenüber jW zu berichten. »Auch viele junge Kolleginnen und Kollegen sagen uns: ›Ewig bleibe ich hier nicht.‹« Für die Zukunft des ÖPNV – insbesondere für seinen Ausbau – eine fatale Entwicklung.
Neben Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich sowie längeren Ruhe- und Urlaubszeiten für die Beschäftigten brauche es auch »eine andere Finanzierung des ÖPNV mit insgesamt mehr Bundesbeteiligung«, forderte Peter Büddicker am Streiktag im Gespräch mit jW. Für die Bundeswehr sei rasch und unkompliziert ein »Sondervermögen« beschlossen worden, sagte der Landesfachbereichsleiter Verkehr bei Verdi NRW. Die »Schuldenbremse« aber schränke notwendige Investitionen ein und erschwere Verbesserungen. »Weil immer das Argument angeführt wird, wir würden unseren Nachkommen einen Schuldenberg hinterlassen: Wenn es so weitergeht, hinterlassen wir ein heruntergewirtschaftetes Land – das braucht kein Mensch.«
Mit rund einem Drittel der Nahverkehrsbeschäftigten kann gerade aus NRW der Druck aus Betrieben und Bevölkerung für eine soziale Mobilitätswende erhöht werden. Am 1. März will das »Wir fahren zusammen«-Bündnis die deutschlandweit gesammelten Unterschriften an die Bundespolitik übergeben. Die Verkehrsministerkonferenz habe 2019 beschlossen, den Nahverkehr zu stärken, bemerkte Barthold. »Nach fast fünf Jahren müssen wir sie offenbar noch einmal mit Nachdruck daran erinnern.«
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