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Aus: Ausgabe vom 03.02.2024, Seite 4 / Inland
Der Fall Luca S.

Versammlung mit Folgen

Hessen: Lehrer nach Mai-Demonstration zu Bewährungsstrafe verurteilt
Von Milan Nowak
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Der Vorsitzende Richter des Landgerichts Frankfurt am Main sieht im Prozess gegen Luca S. kein politisches Verfahren (17.1.2024)

»Lasst Luca lehren!«, riefen rund 200 Demonstranten am Mittwoch nachmittag vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Gewerkschafter, Kollegen, Schüler und Freunde hatten sich gegen ein drohendes Berufsverbot des angehenden Lehrers Luca S. versammelt. Jener war vom Amtsgericht Frankfurt am Main wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch auf einer 1.-Mai-Demonstration 2021 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt worden. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein: Für die Tat sei eine Freiheitsstrafe von mindestens 3 Monaten vorgesehen. Dementgegen erklärte Luca S. zum Prozessbeginn, keine Polizisten angegriffen zu haben, sondern einen Rauchtopf auf Kniehöhe achtlos hinter sich geworfen zu haben, um einem Verletzten zu helfen. Er bereue das Nichtbeachten der Wurfrichtung.

»Keine politische Veranstaltung« sei der Prozess, mahnte der vorsitzende Richter, als die 17 Prozessbeobachter – mehr waren trotz Andrangs nicht zugelassen – klatschten. Die Feststellungen des Amtsgerichts seien bindend, nur das Strafmaß Gegenstand der Verhandlung. Der Richter fragte Luca S., warum er denn keine Berufung eingelegt habe, wenn er sich doch öffentlich als »Opfer staatlicher Repression« bezeichne. Luca S. erwiderte, er sei anwaltlich falsch beraten worden. Ob er seinen Arbeitgeber habe täuschen wollen, fragte der Richter. Das Kultusministerium habe er über das Urteil informiert, so der Angeklagte. Ob er für den Staat denn noch arbeiten wolle? Er wolle für die Kinder weiter als Lehrer arbeiten. »Absurd« nannte der Richter die Rede von Berufsverbot. Befristete Anstellungen seien normal bei Lehrern. Luca S. könne im Falle des Ausschlusses vom Staatsdienst doch an Privatschulen lehren. Jener erwiderte, die täglich drohende Kündigung sei etwas anderes als ein befristeter Arbeitsvertrag.

Die Staatsanwaltschaft forderte, vor dem Plädoyer das Beweisvideo erneut in Augenschein zu nehmen. Auf einem mittelgroßen PC-Bildschirm sahen die im Gerichtsaal Anwesenden – die Prozessbeobachter aus etwa zehn Meter Entfernung – ein fünfsekündiges Video dreimal an.

Im Plädoyer forderte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung sowie eine Zahlung von 1.000 Euro an eine karitative Einrichtung. Luca S. habe, auf dem Video klar erkennbar, überlegt und gezielt die Polizei abgeworfen und so die Rettung einer verletzten Person behindert. Zur »Verteidigung der Rechtsordnung« sei eine Geldstrafe unzureichend. Der Strafverteidiger nannte die Urteilsbegründung des Amtsgerichts »haarsträubend«, auf Vorwürfe wie polizeifeindliche Parolen und Kommunismus gestützt, mit dem Präzedenzfall eines Polizistenmordes durch einen Reichsbürger begründet. Er warnte vor einem »strafrechtlichen rechten Sumpf«. Luca S. betonte, trotz Fehlern und Emotionalität im Prozess, für die er sich entschuldigte, mit vollem Herzen Lehrer zu sein und bleiben zu wollen.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten letztlich zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Rund 40 Menschen harrten zwei Stunden nach Verhandlungsbeginn vor dem Gericht aus. Luca S. dankte ihnen unter Applaus. Diesmal wolle er in Revision gehen.

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