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Aus: Ausgabe vom 02.02.2024, Seite 6 / Ausland
Spionageskandal in Brasilien

Bolsonaros Spitzel

Brasilien: Bundespolizei ermittelt gegen Geheimdienst. Illegale Spionage gegen Regierungsgegner
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
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Der brasilianische Geheimdienst Abin hat ein interessantes Eigenleben entwickelt (Brasília, 21.12.2005)

Geheimdienste sind im Grunde dazu da, andere auszuspionieren. Die Frage ist, wen? Laut Ermittlungen der brasilianischen Bundespolizei soll nun der ehemalige Chef des brasilianischen Geheimdiensts Abin (Agência Brasileira de Inteligência) und heutige Bundesabgeordnete Alexandre Ramagem der rechten Liberalen Partei (PL) und sein Stellvertreter Alessandro Moretti unter der abgewählten Regierung von Expräsident Jair Bolsonaro zwischen 2019 und 2022 illegal Hunderte von Politikern, Rechtsanwälten, Journalisten und selbst Minister des Bundesgerichtshofs ausspioniert haben.

Die beiden Hauptverdächtigten sollen dazu eine »Parallelstruktur« aufgebaut und die israelische Spionagesoftware Firstmile zur Überwachung von Mobiltelefonen der Bespitzelten eingesetzt haben. Insgesamt habe Abin während der Amtszeit Bolsonaros mindestens 33.000 illegale Überwachungsaktivitäten durchgeführt und 1.800 Mal Firstmile benutzt, um vor allem Gegner der Regierung des ehemaligen rechten Staatspräsidenten auszuspionieren.

Nach Angaben der Bundespolizei richten sich die Ermittlungen deshalb auch gegen die vermeintlichen Nutznießer der unrechtmäßig erworbenen Informationen. Allen voran Bolsonaros zweitältester Sohn und Stadtrat von Rio de Janeiro, Carlos Bolsonaro, der verdächtigt wird, Verleumdungskampagnen gegen politische Gegner organisiert zu haben. Bei jüngsten Hausdurchsuchungen beschlagnahmten die Ermittler unter anderem Computer und Mobiltelefone des Stadtrats.

In seiner Stellungnahme indes verneinte der Sohn Bolsonaros jegliche Verbindungen mit Abin. Er habe niemals Informationen des Geheimdienstes angefordert oder erhalten. Auch Jair Bolsonaro und sein ehemaliger Spionagechef und Parteifreund Ramagem aus Rio de Janeiro bestreiten jegliche Unregelmäßigkeiten.

Als erste Folge des Skandals hat der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den stellvertretenden Geheimdienstchef Moretti sowie sechs weitere Abin-Direktoren entlassen und mit Gefolgsleuten ersetzt. Zum stellvertretenden Direktor des Geheimdienstes ernannte Lula den Wissenschaftler Marco Cepik, der zuvor die Geheimdienstschule von Abin leitete. Cepik gilt als Vertrauter von Abins heutigen, gleichfalls von Lula eingesetzten Generaldirektors Luiz Fernando Corrêa und ist Autor des Buchs »Spionage und Demokratie«. Corrêa, ehemals Bundesabgeordneter der Arbeiterpartei (PF), war bereits in Lulas ersten beiden Amtszeiten zwischen 2003 und 2007 nationaler Sekretär für öffentliche Sicherheit und danach bis 2011 Generaldirektor der Bundespolizei.

In einem an Lula gerichteten offenen Brief indes kritisieren mehrere Abin-Mitarbeiter die Personalwahl des Staatspräsidenten. Die Ernennung von Personen in Führungspositionen, die keine Erfahrung in der Spionagepraxis haben, schwäche den Nationalen Geheimdienst, schreiben sie. Die Abin-Beamten verteidigen in dem Brief auch die Schaffung eines Sondergerichts zur Genehmigung nachrichtendienstlicher Maßnahmen.

Unter den von Abin illegal ausspionierten Personen sind laut Bundespolizei auch der US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald und sein verstorbener Ehemann, der ehemalige linke Bundesabgeordnete David Miranda. Der Mitbegründer der Investigativplattform The Intercept ist einer der journalistischen Kritiker der Bolsonaro-Regierung. 2019 warf Greenwald der brasilianischen Justiz vor, den Chef der Arbeiterpartei, Lula da Silva, gezielt in Haft gebracht zu haben, um seine Präsidentschaftskandidatur 2018 zu verhindern.

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