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Aus: Ausgabe vom 02.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
US-Hinterhofpolitik

Caracas erneut im US-Visier

Venezuela: Nach Ausschluss von Rechtskandidatin setzt Washington Sanktionen wieder in Kraft. Regierung prangert »neokoloniale Einmischung« an
Von Volker Hermsdorf
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Hauptfeinde Washingtons: Der Chavismus und Maduro, der zumindest rhetorisch das Erbe von Chávez fortführt (Caracas, 15.1.2024)

Lateinamerika rückt nach rechts. Argentiniens Präsident Javier Milei bekennt offen seine Nähe zu den USA und erklärt zugleich China, Russland, Kuba, Nicaragua sowie Venezuela zu Gegnern. In Ecuador lässt Staatschef Daniel Noboa US-Militärs zum ersten Mal seit Jahren wieder frei im Land agieren. In El Salvador steht der rechte Amtsinhaber Nayib Bukele am kommenden Sonntag vor der nahezu sicheren Wiederwahl. In Mexiko darf der US-kritische Amtsinhaber Andrés Manuel López Obrador bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 2. Juni nicht erneut antreten. Wer immer nachfolgt, wird der zunehmenden US-Dominanz im ehemaligen Hinterhof weniger energisch entgegentreten. Da es soweit im Sinne Washingtons läuft, konzentrieren sich die USA nun auf die im Herbst anstehenden Wahlen in Venezuela. Ihr Hauptziel besteht darin, Nicolás Maduro und dem Chavismus eine Niederlage zuzufügen oder anderenfalls die Wahlen zu diskreditieren.

Anfang der Woche setzte die US-Regierung erneut umfangreiche Sanktionen in Kraft, die seit Oktober 2023 ausgesetzt worden waren. Washington reagierte damit auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der den Ausschluss der ultrarechten Kandidatin María Corina Machado und fünf weiterer Oppositioneller bei den Wahlen bestätigt hatte. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, kündigte an, ab April auch Erleichterungen für den Öl- und Gassektor zu streichen, falls die Entscheidung bis dahin nicht aufgehoben werde. Das ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Denn Teile der Opposition hatten Machado im Oktober – offenbar in provokativer Absicht – als Kandidatin nominiert, obwohl ihr wegen Steuerhinterziehung bereits 2015 das passive Wahlrecht aberkannt und im Juli 2023 für 15 Jahre die Ausübung öffentlicher Ämter untersagt worden waren.

Der Rechtspolitikerin werden die Beteiligung an Korruptionsfällen des selbsternannten »Interimspräsidenten« Juan Guaidó zu Lasten des venezolanischen Auslandsvermögens, sowie die Unterstützung der von den USA verhängten Sanktionen vorgeworfen. US-Außenminister Antony Blinken drohte bereits im vergangenen Jahr, Lockerungen im Öl-, Gas- und Goldsektor zu widerrufen, wenn Machado nicht zu den Wahlen antreten könne. Die auch in der Opposition umstrittene potentielle Guaidó-Nachfolgerin fühlt sich dadurch stark. »Sie können keine Wahlen ohne mich abhalten. (…) Ob Maduro will oder nicht, er wird sich mit mir messen und wir werden ihn besiegen«, erklärte sie angesichts der US-Unterstützung selbstbewusst. Machado vertraut darauf, dass Washington erfahrungsgemäß nur ein Ergebnis akzeptiert, das den eigenen Erwartungen entspricht. Anderenfalls sind neben einer Nichtanerkennung der Wahlen, verschärfte Sanktionen, sowie neue Anläufe zu einem gewaltsamen Umsturz zu erwarten.

Obwohl bislang alle Regime-Change-Versuche scheiterten, setzt US-Präsident Joseph Biden darauf, Maduro zumindest zu schwächen. Er hofft offenbar, damit bei den Wahlen im eigenen Land Stimmen zu gewinnen. Die Ernennung des ultrarechten Republikaners Elliott Abrams zum Mitglied der Beratungskommission »Advisory Commission on Public Diplomacy« ist ein Indiz dafür. Abrams war von Donald Trump als Sonderbeauftragter für die »Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela« eingesetzt worden und zuvor bereits für die republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan, George H. W. Bush und George W. Bush in ähnlicher Mission tätig. Er gilt als Spezialist für das Anzetteln von Stellvertreterkriegen in Mittelamerika, ist ein Förderer rechter Putschisten und beschaffte Geld für die Bewaffnung der Contras in Nicaragua.

In der vergangenen Woche waren die Spannungen zwischen Venezuela und den USA eskaliert, als Caracas die Verhaftung von 36 Personen bekannt gab, die Attentatspläne gegen Maduro geschmiedet haben sollen. An den seit Mai laufenden Vorbereitungen dazu sollen neben zwei Wahlkampfleitern von Machados Rechtspartei »Vente Venezuela« auch Angehörige der CIA und der US-Drogenpolizei DEA beteiligt gewesen sein. Jetzt werde »durch Zwang und Drohungen versucht, einen Staatsstreich zu erzwingen«, reagierte Venezuelas Außenminister Yván Gil auf die nach den Festnahmen wieder in Kraft gesetzten Sanktionen Washingtons. Gil rief die Bevölkerung zur Verteidigung der nationalen Souveränität auf und bat um internationale Solidarität, um »diese neokoloniale Einmischung zur Unterstützung der Oligarchie zurückzuweisen«.

»Über die Zukunft Venezuelas wird nicht die Oligarchie bestimmen«, erklärte auch Maduro am Montag im Fernsehen. Er erinnerte an das Abkommen, auf das sich die Regierung und die oppositionelle »Plataforma Unitaria Democrática« im Oktober auf Barbados geeinigt hatten. Beide Seiten hatten darin alle Versuche ausländischer Einmischungen in den Wahlprozess zurückgewiesen und erklärt, jede Form von Gewalt abzulehnen sowie die von den Wahlbehörden aufgestellten Regeln zu respektieren. Unter dieser Voraussetzung hätten alle politischen Akteure das Recht, »ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen frei und in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen der Bolivarischen Republik Venezuela aufzustellen«, lautete einer der Punkte.

Anfang der Woche stimmte Caracas einem Vorschlag Norwegens zu, eine Kommission zu bilden, die die Einhaltung des Barbados-Abkommens überprüfen und überwachen soll. »Wir werden trotz ständiger Angriffe auf die Verfassung einen neuen Versuch unternehmen, die Vereinbarungen aufrechtzuerhalten«, so Parlamentspräsident Jorge Rodríguez als Leiter der Regierungsdelegation. Er verwies zugleich darauf, dass das Abkommen weder die Verfassung noch andere Gesetze ersetzen könne und versicherte, dass die Wahlen in der zweiten Jahreshälfte stattfinden und der gewählte Präsident sein Amt am 10. Januar 2025 antreten werde.

Hintergrund: Kritik von links

Während die extremen Rechten um US-nahe Oppositionspolitiker wie María Corina Machado und den Exgouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles, weiterhin auch auf einen gewaltsamen Regimewechsel setzen, gibt es an der Regierungspolitik zunehmend auch Kritik von links. So klagt die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), deren gewählte Führung im August vom Obersten Gerichtshof abgesetzt wurde, über Repressalien. Grund für das quasi Parteiverbot sei die Kritik der PCV an einer immer stärker sozialdemokratisch ausgerichteten Politik, die »jenseits einer vollmundigen Rhetorik keine Transformation der kapitalistischen Realität« anstrebe.

Im Hinblick auf die Wahlen im Herbst führt das Vorgehen der Regierung faktisch zum Ausschluss der PCV. »Wir können keine eigenen Kandidaten für die nächsten Wahlen aufstellen, da sie uns die Berechtigung zur Wahlteilnahme vorenthalten. (…) Uns werden also die elementarischen politischen Rechte vorenthalten«, erklärte das Mitglied des Politbüros, Pedro Eusse, kürzlich in einem Interview dieser Zeitung.

Im Gegensatz zu vorgeblich »linken« Kritikern in Nicaragua, die gemeinsam mit US-freundlichen Oppositionellen den Sturz der sandinistischen Regierung fordern, wirft die PCV Nicolás Maduro einen »Pakt mit den Eliten« vor. Nach eigener Darstellung kritisiert sie die Regierungspolitik von einer unabhängigen Klassenposition aus und warnt, dass die Übereinkunft mit der rechten Opposition die Gefahr berge, das Land an den Imperialismus und die Interessen des Kapitals auszuliefern.

Bei den kommenden Wahlen gibt es aus Sicht der Kommunisten demnach nur die Alternative zwischen einem kleineren und einem größeren Übel. Für die venezolanische Arbeiterklasse gäbe es derzeit »keinen hoffnungsvollen Ausweg aus der aktuellen Situation – weder die Regierung noch die Rechten haben eine Lösung«, so Eusse, der auch nationaler Gewerkschaftssekretär der PCV ist. (vh)

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