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Aus: Ausgabe vom 30.01.2024, Seite 2 / Kapital & Arbeit
Neokolonialismus

»Viele hantieren ungeschützt mit den Pestiziden«

Für Kakaoanbau in Westafrika werden hochgefährliche Stoffe eingesetzt. Netzwerk ruft Unternehmen zur Verantwortung. Ein Gespräch mit Juliane Bing
Interview: Marc Bebenroth
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Ein Bauer in Ghana kümmert sich um junge Kakaobäume (28.2.2012)

Dem Schokoladenriesen Mars haben Sie am Donnerstag in Berlin den von mehr als 8.300 Unterstützern gezeichneten Appell übergeben, den Einsatz von »hochgefährlichen Pestiziden« beim Kakaoanbau in Westafrika zu stoppen. Um welche Stoffe geht es?

Darunter verstehen wir solche, die von der Organisation »Pestizid Action Network« als hochgefährliche Pestizide definiert werden. Vor allem geht es uns um die, die in der EU schon verboten sind aufgrund ihrer Wirkung auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, beispielsweise Neonicotinoide wie Imidacloprid oder Thiamethoxam.

Was passiert, wenn Menschen damit ungeschützt in Berührung kommen?

Das kann zur akuten Vergiftung führen, zu Hautausschlägen, Atemproblemen oder Augenirritationen, aber auch zu Erbrechen und Schwindel. Darüber berichten sehr viele.

Es ist kein Geheimnis, dass auch unzählige Kinder ausgebeutet werden. Welches Ausmaß hat die Kinderarbeit in den Kakao produzierenden Ländern Westafrikas erreicht?

Das Ausmaß ist wirklich massiv. Wir sprechen hier von ungefähr 1,5 Millionen Kindern, die in Côte d’Ivoire und Ghana im Kakaoanbau tätig sind. Diese Zahlen kommen aus einer Studie der University of Chicago. Demnach ist fast ein Drittel der Kinder in beiden Ländern im Kakaoanbau unmittelbar Pestiziden ausgesetzt. Diese Zahl hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verfünffacht.

Sie fordern von der Industrie, ihrer gesetzlichen Verantwortung nachzukommen.

Wir fordern unmittelbar einen besseren Schutz. Zum Beispiel, dass die Bäuerinnen und Bauern Schutzkleidung gestellt bekommen. Viele hantieren ungeschützt mit den Pestiziden. Atemschutz, Handschuhe oder Brillen können sich die Bäuerinnen und Bauern häufig nicht leisten. Andererseits sind sie sehr unbequem bei den Temperaturen in Westafrika, wo es sehr heiß und sehr schwül ist.

Mittelfristig könnte man auf hochgefährliche Pestizide verzichten. Das Problem liegt darin, dass sie in Ghana und Côte d’Ivoire häufig die billigsten Pestizide sind. Es fehlt häufig auch am Zugang zu weniger gefährlichen Alternativen. Wir fordern Investitionen in die Umstellung der Produktion, weg von einer Monokultur – diese ist sehr abhängig vom Pestizideinsatz – und hin zu beispielsweise Agroforstsystemen. Die Unternehmen müssen auch in der Lieferkette ihren Einfluss geltend machen.

Greift denn hier das neue Lieferkettengesetz?

Das greift ganz klar. Der Einsatz hochgefährlicher Pestizide im Kakaoanbau gefährdet ganz konkret das Recht auf Gesundheit sowie das Recht auf einen gesunden und sicheren Arbeitsplatz. Und die Unternehmen müssen wissen, welche Gifte in ihren Lieferketten eingesetzt werden.

Von den acht Unternehmen, an welche die entwicklungspolitische Organisation »INKOTA« appelliert, zeigten sich drei für ein Gespräch bereit.

Wir haben mit Nestlé, Mars und Ritter Sport gesprochen. Wir begrüßen, dass sie dazu bereit waren. Leider sind Unternehmen der Branche sehr zurückhaltend und glänzen nicht mit Transparenz. Die meisten haben öffentliche Nachhaltigkeitsstrategien, aber diese adressieren häufig nicht speziell den Einsatz von Pestiziden.

2023 ist der Preis für Kakao deutlich angestiegen. Konzerne konnten Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterreichen. Was bedeutet das für die Anbaubedingungen?

Der Kakaopreis in Ghana und Côte d’Ivoire wird staatlich festgelegt. Und der Kakao, der aktuell zu Schokolade verarbeitet wird, wurde häufig schon letztes Jahr zu einem viel, viel niedrigeren Preis eingekauft. Dieser hohe Preis am Weltmarkt wird also aktuell nicht an Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weitergegeben. Sie haben inflationsbedingt viel höhere Ausgaben für Düngemittel, für Pestizide, auch für Lebenshaltungskosten – und die können sie nicht weitergeben. Das zeigt das Machtungleichgewicht.

Welche Handhabe haben die Regierungen in Ghana und Côte d’Ivoire?

Die haben durchaus einen großen Einfluss. Sie könnten bestimmte Wirkstoffe verbieten. Aber das ist ein sehr lukrativer Markt. Daher fordern wir auch ein Exportverbot dieser hochgefährlichen Pestizide.

Die Kakaobäuerinnen und -bauern fordern ebenso Unterstützung dabei, nachhaltiger anzubauen.

Juliane Bing ist Projektkoordinatorin Westafrika, nachhaltiger Kakao beim entwicklungspolitischen INKOTA-Netzwerk e. V. in Berlin

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