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Aus: Ausgabe vom 20.11.2023, Seite 8 / Natur & Wissenschaft
Ökosozialismus

»Bauen wir Festungen, oder bauen wir Windmühlen?«

Kann »Geoengineering« die Klimawandelfolgen eindämmen? Ein Gespräch mit Anette Schlemm
Interview: Barbara Eder
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Nur die Umgestaltung der Produktions- und Verteilungsweise kann die Klimawandelfolgen noch aufhalten

In Ihrem neuen Buch mit dem Titel »Climate Engineering« beschäftigen Sie sich mit den gesellschaftspolitischen Dimensionen dieser Praxis. Was ist unter diesem Begriff zu verstehen?

Mittels »Climate Engineering« soll die Erderwärmung infolge des Treibhausgasanstiegs reduziert werden. Der Begriff »Geoengineering« zählt auch Staudammbauten dazu, die nicht direkt mit dem Klima zu tun haben. Anfangs ging es darum, Treibhausgasemissionen zu senken, damit Folgen des Klimawandels gar nicht erst auftreten. Inzwischen hat man verstanden, dass die Anstrengungen für eine Minderung der Emissionen nicht ausreichend sind und dass wir das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichen können. Deshalb wird nun vorgeschlagen, das Klima ingenieurstechnisch in den Griff zu bekommen: Die Erderwärmung soll beispielsweise ausgeglichen werden, indem man die Sonneneinstrahlung auf die Erde abschattet – etwa durch Spiegel über der Erdoberfläche. Oder man versucht, übermäßiges Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder zu entfernen. In meinem Buch analysiere ich neben diesen Methoden auch deren Auswirkungen, die gerne als »Nebenwirkungen« verniedlicht werden – zum Beispiel Monsunverschiebungen und veränderte Wetterlagen.

Woher kommt dieser Ansatz?

Bereits in Artikeln aus den neunziger Jahren kann man lesen, dass die Beförderung von Aerosolen in die Stratosphäre mit Hilfe von Flugzeugen oder sogar Ballons eine kostengünstige Alternative zur Senkung der durch industrielle Produktionsformen angeheizten Treibhausgasemissionen wäre. Dabei orientiert man sich an dem, was Vulkane machen: Brechen sie aus, hat man häufig den Effekt einer globalen Temperatursenkung. Dies wurde von dem Nobelpreisträger Paul Crutzen, der auch den Begriff »Anthropozän« geprägt hat, 2006 in die Debatte eingebracht und wird seither in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert – nun nicht mehr offen als Alternative zu einer tatsächlichen Emissionssenkung. Denn diese würde nur eine andere Wirtschaftsordnung bewirken, in der weniger emittiert wird. Als Klimaaktivistinnen und -aktivisten müssen wir für einen »System Change« statt nur für einen »Climate Change« eintreten.

In welcher Weise beeinflusst soziale Ungleichheit das Klima?

Im neuen Bericht an den »Club of Rome« werden fünf Aspekte genannt, die für eine ökologische Kehrtwende unabdingbar sind. Der zuletzt genannte ist die Umgestaltung des Energiesystems. Die Abschaffung der Armut und das Beenden der Ungleichheit stehen an erster und zweiter Stelle. Und zwar deshalb, weil die wohlhabenden Menschengruppen auf dieser Erde Vorbild für alle anderen sind. Eine Reduzierung des Wohlstandes im allgemeinen würde die Armen übermäßig treffen, wenn es keinen sozialen Ausgleich und die völlige Umgestaltung der Produktions- und Verteilungsweise gäbe.

Beim CO2-Verbrauch gibt es ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Müssen die sich entwickelnden Länder in Zukunft auf Technologie und Wachstum verzichten?

Sie sollten auf die Verkrüppelungen verzichten, die derartige Entwicklungen mit sich bringen. Ansonsten sollen sie alles entwickeln können, was sie entwickeln wollen. Ich kritisiere den Kapitalismus nicht nur wegen der Ausbeutung, sondern auch, weil er uns durch das Privateigentum an Lebens- und Produktionsgrundlagen die Entscheidung über unsere Produktions- und Lebensweise verunmöglicht. Wir können diskutieren, was wir wollen. Wenn wir in die wirtschaftlichen Entscheidungen nicht eingreifen, können wir auch keine ökologische, sozial verantwortliche und klimagerechte Kreislaufpolitik machen. Es ist zwar besser, jedes Zehntelgrad an Temperaturanstieg zu verhindern, als gar nichts mehr zu machen. Unabhängig davon, wie schlecht es der Landwirtschaft geht, wie viele Unwetter wir haben, wieviel Infrastruktur kaputtgeht und wie viele Menschen darunter leiden müssen – die grundsätzliche Frage ist: Bauen wir Festungen oder bauen wir Windmühlen? Ich möchte Windmühlen bauen.

Annette Schlemm ist Physikerin, ­Philosophin und Autorin

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