Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 20.11.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Nahostkonflikt

Standhafte Ikone

Greta Thunberg lässt sich von Verleumdern nicht beirren und hält an Palästina-Solidarität fest
Von Jürgen Heiser
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»Keine Gerechtigkeit ohne Ende der Besatzung«: Greta Thunberg (M.) auf Kundgebung in Amsterdam (12.11.2023)

Als die 15jährige Greta Thunberg sich im heißen August 2018 mit dem Pappschild »Schulstreik fürs Klima« vor den schwedischen Reichstag setzte, löste sie auf der ganzen Welt einen Protest Tausender Jugendlicher aus. Die Bewegung Fridays for Future (FFF) war geboren. Sie holte das Thema Klimaschutz, das von Politikern aller Couleur zerredet und wie ein altes Kaugummi unter ihre Konferenztische geklebt worden war, zurück in die Köpfe und auf die Straße.

Die starke deutsche FFF-Sektion wurde jedoch schon bald von Bündnis 90/Die Grünen gekapert. Die Einbindung in die Staatspolitik war letztlich der Hauptgrund für die Domestizierung der ursprünglich aufmüpfigen Jugendbewegung. Durch den Völkermord der israelischen Armee in Gaza kam es nun zu einem Akt, der geradezu symbolhaft ist für diesen Niedergang.

Thunberg hatte sich seit Wochen für ein Ende des Mordens in Palästina eingesetzt. Am 20. Oktober teilte sie auf X mit: »Heute streiken wir in Solidarität mit Palästina und Gaza. Die Welt muss ihre Stimme erheben und einen sofortigen Waffenstillstand, Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser und alle betroffenen Zivilisten fordern.« Am vorletzten Sonntag nahm die Aktivistin dann in Amsterdam am dortigen »größten Klimaprotest aller Zeiten« (Euronews.com) teil. Zehn Tage vor den Parlamentswahlen hatte ein breites Bündnis zum »Marsch für Klima und Gerechtigkeit – Gemeinwohl vor Profit« aufgerufen. 70.000 Menschen kamen und forderten eine konsequentere Klima­schutzpolitik ein, Teile protestierten auch gegen den Krieg in Gaza.

Auf der Abschlusskundgebung empfing die Menge begeistert Thunberg, die gleich zur Sache kam. »Als Bewegung für Klimagerechtigkeit müssen wir auf die Stimmen derer hören, die unterdrückt werden und für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen«, sagte sie. Es könne »keine Klimagerechtigkeit ohne internationale Solidarität geben«. Damit übergab sie das Mikro an eine Afghanin und eine Palästinenserin, die zuvor von den Organisatoren am Reden gehindert worden war, weil sie den Satz sagte: »Vom Fluss bis zum Meer – Palästina wird frei sein.« Thunberg teilte ihre Redezeit mit beiden, um sie zu Wort kommen zu lassen.

»Wir stehen nicht am Rande einer Katastrophe, wir leben darin«, sagte Thunberg. Die Menschen an den Frontlinien der Klimakrise schlügen seit Jahrzehnten Alarm, »aber wir alle und die Politiker an der Macht haben nicht zugehört«. Daraufhin versuchte ein Teilnehmer, ihr das Mikro zu entreißen. Er sei nicht wegen Politik, sondern wegen des Klimas gekommen, sagte der Mann, bevor er von der Bühne gedrängt wurde. Die Menge konterte: »Wir wollen Politik, wir wollen Politik«, und Thunberg stimmte mit in den Sprechchor ein: »Auf besetztem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit!«

In der BRD fühlte sich nach Thunbergs Auftritt in Amsterdam eine Art »Wächterrat« in Sachen »Israels Sicherheit ist Deutschlands Staatsräson« berufen, erbarmungslos über sie herzufallen. Denunziatorisch hatte der Spiegel die »Umweltikone« schon am 24. Oktober ins Fadenkreuz genommen: »Hier gefährdet eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Gegenwart jüdisches Leben.« Nach der Demo wurde der Krakeel lauter. Oberwächter Felix Klein – amtlich: »Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus« – posaunte hinaus, Thunbergs »einseitige Einlassungen zum Nahostkonflikt« seien »israelfeindlich und durch die verklausulierte Aberkennung des Existenzrechts Israels auch antisemitisch«. Sie demontiere »sich selbst sowie ihre Reputation als Kämpferin gegen den Klimawandel«. Klein erwähnte indes nicht den wahren Grund für seine Verleumdungen: die Angst der Herrschenden vor Thunbergs Mobilisierungskraft, die ihr weltweit Respekt einbrachte. Mit ihren Aussagen zum Krieg gegen Gaza sei »Thunberg innerhalb der Organisation leider nicht allein«, musste Klein einräumen. Deshalb begrüße er, dass sich die deutsche FFF-Sektion von der internationalen FFF-Bewegung distanziert habe. Die Grüne Luisa Neubauer erfüllte diesen Job. Schon Ende Oktober hatte sie über dpa verbreitet, die »antisemitischen Posts« auf internationalen FFF-Kanälen zeigten »Desinformation und Antisemitismus von wenigen«. Doch Thunberg lässt sich nicht beirren und stellt sich nun bei ihrem freitäglichen Klimaprotest mit dem Schild »Gerechtigkeit für Palästina« vor das Parlament in Stockholm.

Außer Klein fühlten sich weitere »Wächter« berufen, Thunberg stellvertretend für alle Kritiker der israelischen Regierung an den Pranger zu stellen. Volker Beck, Präsident der Deutsch-israelischen Gesellschaft, phantasierte, Thunberg sei nun »hauptberuflich Israel-Hasserin«. Die israelische Botschaft in Berlin assistierte: »Keine Bühne für Antisemiten!« Thunbergs Solidarität mit Palästina fand die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang »absolut unanständig«. Sie habe »Täter und Opfer vertauscht« und »das Existenzrecht Israels zur Seite gewischt«. Der aktuelle Spiegel provozierte nun weiter, er warf Thunberg vor, die Klimabewegung zu spalten, und stellte die »Greta-Frage«: »Ist sie naiv oder Antisemitin?«

Angesichts der Repression gegen jede Form von Palästina-Solidarität ist es an der Zeit, sich schützend vor Greta Thunberg und alle zu stellen, die sagen, was wahr ist, und sich nicht von denen schrecken lassen, die heute noch hetzen, aber schon morgen die UNO, ihre Menschenrechtserklärung und das Völkerrecht pulverisieren, wie es gerade in Gaza geschieht. Das Massaker muss aufhören.

Hintergrund: Widerstand brechen

Die verkündete »Zeitenwende« und das Ziel einer »kriegstüchtigen« Gesellschaft setzen »Ruhe im Hinterland« voraus, sprich: keine aufmuckende Bevölkerung. Die NATO hat dem seit ihrer Gründung mit dem Motto ihres Wappens Rechnung getragen: »Vigilia prætium libertatis – Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit.«

Ein NATO-Experte für die Heimatfront ist der britische General Frank Kitson. Seit 1945 dienend, sammelte er in den Kolonien Erfahrungen beim Niederschlagen von Aufständen: gegen die Mau-Mau in Kenia, gegen kommunistische Rebellen in Malaysia, gegen eine Revolte in Oman und gegen den Freiheitskampf in Nordirland. Sein 1971 erschienenes Buch »Low Intensity Operations: Subversion Insurgency and Peacekeeping« gilt bis heute in NATO-Kreisen als Standardwerk.

Kitsons Motto: stets den Anschein von Rechtmäßigkeit wahren. Sich nicht dem »Polizeistaatsvorwurf« aussetzen, sondern den Rechtsweg wählen. Aktuelles Beispiel: das Gerede vom »Bekenntnis zum Existenzrecht Israels« (BRD-Staatsräson). Die Justiz könne »als eine der Waffen im Arsenal der Regierung benutzt werden«, so Kitson. »In diesem Fall wird sie nichts weiter als eine propagandistische Verkleidung für die Beseitigung unerwünschter Personen des öffentlichen Lebens sein«, heißt es in seinem Buch. Ein Beispiel dafür ist die Kriminalisierung »palästinensischer Symbole und Parolen«. Damit wird die Verunglimpfung propalästinensischer Kundgebungen eine Stufe weiter getrieben.

Gegner bei der Aufstandsbekämpfung sind laut Kitson nicht allein eine Partei oder Front oder von ihnen unterstützte oder unterhaltene bewaffnete Gruppen. »Sie bilden sozusagen den Kopf und den Rumpf eines Fisches«, schreibt Kitson. Als das Wasser aber, in dem der Fisch schwimmt, gerät die Bevölkerung in den Blick. Wenn der Fisch nicht direkt mit Angelrute oder Netz zu fangen sei, könne es notwendig sein, »die Fische durch Verschmutzung des Wassers zu töten«, so Kitson. (jh)

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (20. November 2023 um 08:33 Uhr)
    Hut ab vor Greta Thunberg! Und vor dem Kommentator, der dazu aufruft, sich schützend vor sie zu stellen. Und Finger an die Stirn bei Ricarda Lang wegen ihrer Expertise bei der Täter-Opfer-Umkehr. Sie selbst praktiziert sie perfekt, wenn sie die Apartheidopfer der israelischen Regierung in Täter verwandelt und Netanjahu zum Friedensengel hochstilisiert. Dass Israels Regierung – die rechteste aller Zeiten – diesen Gewaltausbruch über Monate gezielt provoziert hat: Kein Wort dazu. Was für eine Wende haben die Grünen doch inzwischen hinter sich. Einst riefen sie »Wer sich nicht (!) wehrt, der lebt verkehrt«. Heute lautet das Motto wunderbar angepasst »Nur wer sich wehrt, lebt ganz verkehrt!«

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