Britische Mieten unerschwinglich
Von Dieter Reinisch, Belfast
Für immer mehr Briten wird das Nötigste unbezahlbar: Strom, Nahrungsmittel, Miete. Im Oktober lagen die Mietpreise im Vereinigten Königreich durchschnittlich 6,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor, wie das Statistikamt ONS am Mittwoch mitteilte. Eine starke Nachfrage nach Mietwohnungen treffe auf ein knappes Angebot. Bei steigenden Kreditzinsen.
Die Zahl der Räumungsklagen in England hat nach Angaben des Justizministeriums den höchsten Stand seit mehr als sieben Jahren erreicht. Eine wachsende Zahl von Vermietern beendet auf diese Weise Mietverhältnisse ohne Angabe von Gründen und zieht vor Gericht gegen jede, die nicht ausziehen will. Im dritten Quartal lag die Zahl der Räumungsklagen 38 Prozent über der des Vorjahreszeitraums. Während der Pandemie waren Zwangsräumungen untersagt.
Nach den neuen ONS-Daten sind die Mieten im zweiten Monat nacheinander um ein Rekordniveau gestiegen, zunächst um 5,7 Prozent im Jahresvergleich im September. In den zwölf Monaten bis Oktober stiegen die Privatmieten dann in England um sechs Prozent, in Wales um 6,9 Prozent und in Schottland um 6,2 Prozent.
Innerhalb Englands verzeichnete der Nordosten mit 4,7 Prozent den niedrigsten Anstieg, London mit 6,8 Prozent den höchsten, ein Rekordwert seit Beginn der Londoner Datenreihe im Januar 2006. Zur mittleren Monatsmiete in England liegen Zahlen für den Zeitraum April 2022 bis März 2023 vor. Sie lag bei 875 Pfund Sterling (1.000 Euro).
Schon im September waren die Mieten im Vereinigten Königreich so unerschwinglich wie seit zehn Jahren nicht, konstatierte eine Studie des Immobilienportals Zoopla. Landesweit stiegen die Mieten schneller als die Löhne. Mittlerweile gehen 28 Prozent der durchschnittlichen Einnahmen vor Steuern für Mietzahlungen drauf. Im Zehnjahresdurchschnitt liegt der Wert bei 27 Prozent, Tendenz weiter steigend.
Londoner wenden für die Miete etwa 40 Prozent ihres Bruttoeinkommens auf, schrieb das Magazin Big Issue im Oktober. In sieben von zwölf Regionen des Vereinigten Königreichs seien die Mieten, gemessen am Lohnniveau, so teuer wie seit zehn Jahren nicht.
Rund 4,6 Millionen Haushalte in England leben zur Miete, 340.000 sind es in Schottland und 229.000 in Wales. Das sind rund ein Fünftel aller Haushalte im Land. Im Mai gaben vier von zehn Mietern in einer ONS-Studie an, sie hätten Schwierigkeiten, ihren Mietzahlungen nachzukommen.
Eine Schätzung der National Housing Federation aus dem September ergab, dass in England jedes Jahr rund 340.000 neue Wohnungen gebaut werden müssten. Die konservative Regierung versprach in ihrem Wahlmanifest 2019 den Bau von jährlich 300.000 neuen Wohneinheiten in England, hat dieses Ziel aber in keinem Jahr erreicht. 2022 wurden 232.000 neue Wohnungen errichtet.
Unterdessen stehen Gebiete wie Cornwall, wo der Tourismus vor allem durch den Aufschwung von Airbnb in den vergangenen Jahren für einen Anstieg an Kurzzeitvermietungen gesorgt hat, einem noch größeren Nachfragedruck gegenüber, schrieb Big Issue.
Eine Studie der London School of Economics zeigte im Juli, dass die Zahl der zur Privatmiete verfügbaren Wohnungen in London seit der Pandemie um 41 Prozent zurückgegangen ist. Dabei ist die Immobilienbranche in eine Art Schockstarre geraten. Die Hauspreise gaben laut ONS im September um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat nach. Sie fielen auf durchschnittlich 291.000 Pfund Sterling (334.000 Euro). Es war der erste Rückgang im Jahresvergleich seit April 2012. Im August hatte es noch einen Anstieg von 0,8 Prozent gegeben. In London war das Minus diesmal mit 1,1 Prozent besonders hoch.
Der britische Immobilienmarkt boomte während der Pandemie und ist mittlerweile durch höhere Kreditkosten belastet. Die gehen vor allem auf Zinsen zurück, mit denen die Bank of England die Inflation einfangen will.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (18. November 2023 um 10:00 Uhr)Im Vergleich dazu schafft es der sanktionierte russische Staat in einem Jahr mehr als 1.000.000 Wohnungen zu bauen.
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