Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Gegründet 1947 Donnerstag, 7. Dezember 2023, Nr. 285
Die junge Welt wird von 2753 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
Aus: Ausgabe vom 18.11.2023, Seite 8 / Ansichten

Psychologie bedient

Kiews Vorstöße am Dnipro
Von Reinhard Lauterbach
Russia_Ukraine_War_80057028.jpg
Ukrainische Marineinfanteristen auf dem Dnipro (14.10.2023)

Nachrichten aus dem Krieg sind immer mit besonderer Vorsicht zu behandeln. Informationen aus erster Hand sind rar, und jede Seite versucht, die Lage in ihrem Sinne darzustellen. Daran sollte man sich erinnern, wenn man jetzt den ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenskij Erfolgsmeldungen über die militärische Situation verbreiten hört.

Wo Selenskij recht hat: Es ist der Ukraine gelungen, Russland mit Hilfe westlicher Antischiffsraketen aus dem Westteil des Schwarzen Meeres zu verdrängen. Die russische Schwarzmeerflotte hat ihre kampfkräftigsten Schiffe – nachdem sie etliche Verluste erlitten hatte – in Basen an der Kaukasusküste zurückgezogen. Und der Plan, einen alten sowjetischen Marinestützpunkt in der formal unabhängigen Republik Abchasien zu reaktivieren, deutet darauf hin, dass sich die russische Führung auf diese Lage bis auf weiteres eingestellt hat. Damit dürfte auch der ukrainische Getreideexport auf dem Seeweg auf absehbare Zeit nicht mehr zu verhindern sein.

Aber die faktische Räumung der russischen Marinebasen auf der Krim bedeutet nicht, dass die Ukraine der Rückeroberung der Halbinsel viel näher gekommen wäre. Zwar sind es vom Unterlauf des Dnipro bis an die Pforten der Krim in Luftlinie nur etwa 90 Kilometer; aber der Fluss bleibt ein militärisches Hindernis – für jeden Angreifer. Russland hat die zeitweise eroberten Gebiete am Westufer des Dnipro vor etwa einem Jahr geräumt, weil ihre Versorgung angesichts einer begrenzten Zahl von Brücken und ukrainischer Angriffe gegen diese nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Insofern ist die ukrainische Sprachregelung von der angeblichen »Befreiung« von Cherson sowieso schief. Mehr als eine Frontbereinigung war es nicht.

Dass die Ukraine ein paar Auwälder und Datschensiedlungen mit Kräften ihrer Marineinfanterie besetzt hat, bedeutet nicht, dass in absehbarer Zeit aus diesen Brückenköpfen heraus eine Bodenoffensive in Richtung Krim starten könnte. Dazu fehlt ihr mindestens eine entscheidende Voraussetzung: Luftüberlegenheit. Die ukrainische Luftwaffe ist inzwischen auf unter 20 aktiv kampffähige Maschinen dezimiert worden – für die ganze 1.200 Kilometer lange Front. Damit sichert man keine Flussquerung.

Was also soll die ganze Operation, kleine Trupps von leichter Infanterie auf ein Gelände übersetzen zu lassen, das im Ernst nicht zu verteidigen ist und dem die strategische Tiefe fehlt, um als Ausgangspunkt für weitere Operationen zu dienen? Ein Aspekt dürfte Kriegspsychologie sein: der Öffentlichkeit im eigenen Land einen Erfolg präsentieren zu können. Wichtiger aber ist wohl ein anderer: Solange ukrainische Kräfte am Ostufer des Dnipro präsent sind, muss Russland seine – ohnehin ausgedünnte – Präsenz ihnen gegenüber aufrechterhalten und kann sich nicht leisten, Truppen vom Dnipro an andere Frontabschnitte abzuziehen.

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. November 2023 um 11:27 Uhr)
    Inmitten des Kriegsgeschehens zwischen Russland und der Ukraine sind einseitige Informationen mit Vorsicht zu genießen, wobei Psychologie und Propaganda oft eine entscheidende Rolle spielen. Die Ukraine verdrängte Russland aus dem westlichen Schwarzen Meer mithilfe westlicher Antischiffsraketen, was zu einer Rückzugsbewegung der russischen Schwarzmeerflotte führte. Die Räumung russischer Marinebasen auf der Krim bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Ukraine der Rückeroberung der Halbinsel näher gekommen ist. Kiews Vorstöße am und über den Dnipro haben keinen militärischen Wert, da eine Bodeninvasion aufgrund des schwierigen Geländes um die Dnipromündung mit Panzern und schwerem Gerät nicht möglich ist. Diese Bewegungen zielen eher darauf ab, keine Abzugsflexibilität Russlands zu beeinträchtigen, was vor dem Hintergrund der gesamten Frontlinie von Bedeutung ist. Ungeachtet von Psychologie und Propaganda wird entscheidend sein, wie lange und mit welchen Mitteln der Westen die dezimierte ukrainische Armee zukünftig unterstützen wird. Russland hat sich für einen Zermürbungskrieg gegen die Ukraine entschieden, wobei die Zeit auf seiner Seite ist. Der Kreml strebt an, seine offengelegten Ziele zu erreichen, und bis dahin scheint kein Frieden in Sicht. Die derzeitige Restukraine, nicht nur territorial, sondern auch in Bezug auf die Bevölkerungszahlen, steht erneut vor einem harten Winter!

Ähnliche:

  • Die Rüstungskonzerne reiben sich die Hände: Produktion von Artil...
    15.11.2023

    Mal eben zehn Milliarden

    Krieg in der Ukraine: Berlin verdoppelt Militärhilfe. Russland erzielt Geländegewinne bei Awdijiwka
  • Annalena Baerbock während der NATO Cyber Defence Conference im A...
    14.11.2023

    Baerbock pfeift im Walde

    Bundesaußenministerin sichert Ukraine Aufstockung der deutschen Militärhilfe zu. Rüstungsindustrie steigert Profite
  • Aus politischen Gründen kein Pipelineöl aus Russland mehr: PCK-R...
    13.11.2023

    Klassenkampf der Besitzenden

    Michael Lüders verbindet in seinem neuen Buch Geopolitik mit Kritik an »grüner« Ignoranz

Mehr aus: Ansichten