Washington hat es eilig
Von Knut Mellenthin
Die mit Iran verbündeten schiitischen Milizen im Irak lassen sich nicht abschrecken: Nachdem das US-Verteidigungsministerium am Sonntag zwei »Präzisionsschläge« auf Ziele in Ostsyrien gemeldet hatte, gab es am selben Tag und am Montag mindestens vier Angriffe auf US-Stützpunkte in Syrien. Das Pentagon hat dort gegen den erklärten Willen der Regierung in Damaskus 900 Soldaten stationiert, die angeblich die Reste der Organisation »Islamischer Staat« bekämpfen sollen. Weitere 2.500 US-Soldaten, deren Aufgaben offiziell auf die Truppenausbildung beschränkt sind, befinden sich mit Zustimmung der dortigen Regierung im Irak.
Den »Präzisionsschlägen« am Sonntag waren US-Luftangriffe am 26. Oktober und am 8. November vorausgegangen. Ziele sind den Mitteilungen des Pentagon zufolge stets »Anlagen in Ostsyrien, die von Irans Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) und von mit dem Iran verbundenen Gruppen benutzt werden«. Die Aktionen sollen Iran dazu bringen, die schiitischen Milizen zur Einstellung ihrer Angriffe auf US-Militärstützpunkte im Irak und in Syrien zu veranlassen. Deren Zahl liegt nach Pentagon-Angaben inzwischen bei mindestens 52, wobei nur wenige US-Soldaten leicht verletzt worden sein sollen. Gezählt wird seit dem 17. Oktober, als die Aktivitäten der mit Iran verbündeten Milizen schlagartig zunahmen. An diesem Tag waren bei einem israelischen Luftangriff auf ein Krankenhaus in Gaza mehr als 100 Menschen getötet worden.
Der beabsichtigte Abschreckungseffekt der US-amerikanischen »Präzisionsschläge« in Syrien hat sich bisher offenbar nicht eingestellt. Vor diesem Hintergrund drohte Verteidigungsminister Lloyd Austin dem Iran am Montag bei einem Besuch in Südkorea: »Diese Angriffe müssen aufhören, und wenn sie nicht aufhören, werden wir nicht zögern, erneut das zu tun, was zum Schutz unserer Truppen nötig ist.«
Bisher deutet das Verhalten der USA jedoch darauf hin, dass Joseph Biden ein Jahr vor der nächsten Präsidentenwahl, bei der er es voraussichtlich gegen Donald Trump sehr schwer haben wird, einen ernsthaften und länger dauernden militärischen Konflikt mit Iran vermeiden will. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Wahlkampf berichtete außerdem die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf Moskaus Auslandsgeheimdienst, dass Abgesandte der US-Administration die israelische Regierung bedrängten, ihren Feldzug im Gazastreifen schnell zum Abschluss zu bringen, da andernfalls negative Auswirkungen auf Bidens Wahlchancen befürchtet werden. Israels militärische Führung rechnet nach eigenen Verlautbarungen damit, dass sich die Kämpfe noch ein Jahr hinziehen könnten.
Zur Beschleunigung des Krieges will das Pentagon den israelischen Streitkräften eine große Zahl von 115-mm-Artilleriegranaten mit außerordentlich hoher Explosionskraft zur Verfügung stellen. Sie kommen aus Vorräten, die in Israel eingelagert sind, um »im Ernstfall« eine schnelle Versorgung der US-Streitkräfte in der Region sicherzustellen. Die Washington Post berichtete am Montag, das Pentagon habe die Frage, ob die Lieferung der Granaten schon begonnen hat, nicht beantworten wollen.
Ebenfalls am Montag meldete die US-Nachrichtenwebsite Huffington Post, dass eine Kongressabgeordnete der Demokraten, Ilhan Omar, voraussichtlich am Mittwoch einen Missbilligungsantrag gegen eine geplante Militärlieferung an Israel im Wert von 320 Millionen Dollar einbringen wolle. Es geht dabei um Präzisionssteuerungen, mit denen Bomben nachgerüstet werden können. Die in Somalia geborene Omar gehört zu einer Gruppe von Demokraten, mehrheitlich Frauen um die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die sich friedens- und sozialpolitisch außergewöhnlich stark engagieren. Ob Omars Antrag zur Abstimmung zugelassen wird, wird im Außenpolitischen Ausschuss des Abgeordnetenhauses entschieden. Würde ein Mitglied des Senats, wie beispielsweise der als »Sozialist« geltende Bernard Sanders einen solchen Antrag stellen, wäre eine Abstimmung zwingend. Aber der hält sich mit Kritik an Israels Kriegführung sorgsam zurück.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (16. November 2023 um 11:50 Uhr)Dass Israels Gaza-Feldzug Bidens Chancen auf Wiederwahl mindert, wird Israel kaum bremsen sondern eher anspornen, den Krieg zumindest bis zur Wahl hinzuziehen, denn unter Trump war die Idee einer Entsorgung der den Israelis lästigen palästinensischen autochthonen Bevölkerung auf die Sinai-Halbinsel lebendiger als unter Biden. alarabiya.net meldete etwa am 2.5.2018, »Abbas says he rejected offer from Egypt’s Mursi to settle Palestinians in Sinai«, und Karin Leukefeld berichtete in der jW vom 14.6.2019, dass nach Trumps sog. Jahrhundertdeal der muslimbruderfeindliche al-Sisi den Palästinensern Land auf dem Sinai zumindest vermieten würde. Trump wollte seinen Plan mit Sanktionen gegen alle Widerwilligen durchboxen. Dieser Plan würde die von Israel gewünschte Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen jedenfalls erleichtern. Ob das Schlucken der von Trump auch für Israel bereitgehaltenen Kröten tatsächlich mit Sanktionen erzwungen wird, ist ja immer noch eine ganz andere Frage.
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