Nur der erste Schritt
Von Kristian Stemmler
Es ist die zweite Bundeswehr-Tagung »im Zeichen der Rückkehr des Imperialismus nach Europa«, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag dozierte. Damit meinte er selbstverständlich nicht den US-amerikanischen oder gar den deutschen Imperialismus, sondern »Russlands Eroberungskrieg«, dieser »Angriff auf die elementaren Regeln des Völkerrechts«, den es mit »Entschiedenheit, Klarheit und mit Stärke« zu beantworten gelte.
Dass die nötigen Milliarden fließen, garantierte Scholz in seiner Rede bei dem jährlichen Treffen der Regierung mit dem militärischen und zivilen Spitzenpersonal der Bundeswehr. Er sicherte dauerhaft deutlich höhere Rüstungsausgaben im zweistelligen Milliardenbereich zu. Das mit 100 Milliarden Euro ausgestattete »Sondervermögen für die Bundeswehr« sei nur »ein erster wichtiger Schritt«, so Scholz. »Verteidigungsausgaben« in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes würden nun »dauerhaft« oder zumindest »die ganzen 20er Jahre über, die 30er Jahre« lang gewährleistet.
Der Kanzler begrüßte die neuen »Richtlinien für die Zeitenwende«, die sein Parteikollege und Verteidigungsminister Boris Pistorius am Donnerstag vorgestellt hatte: Niemand könne mehr in Zweifel ziehen, »worum wir uns in Deutschland lange herumgedrückt haben, nämlich, dass wir eine schlagkräftige Bundeswehr brauchen«.
»Kriegstüchtig werden« ist das von Pistorius für die Bundeswehr und die BRD vorgegebene Ziel. Was das konkret bedeutet, ist in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Zeitenwende« nachzulesen, die Pistorius vorlegte und die die Grundlage für eine »leistungsfähige Bundeswehr der Zukunft« sein sollen. Der Ukraine-Krieg dient als Begründung dafür, die Truppe noch schneller aufzurüsten, sie »schlagkräftiger« zu machen, damit sie für »neue Aufgaben« bereit ist. Da heißt es: »Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, in denen Einsätze zum internationalen Konfliktmanagement strukturbestimmend und Landes- und Bündnisverteidigung in den Hintergrund gerückt waren, lassen sich nicht in wenigen Jahren umkehren« und »der Weg zu einer umfassend einsatzbereiten Bundeswehr, die unsere Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Bündnispartner zu Recht erwarten, erfordert einen langfristigen Anpassungsprozess«.
Bei den »Reformen«, der Beschaffung von Ausrüstung und Material sowie Bauprojekten soll deshalb Tempo gemacht werden: »Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr«. Maßstab hierfür sei »jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht«. Die BRD müsse »Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein«.
Die militärische Hochrüstung ist freilich ohne Geschichtsklitterung nicht zu haben. »Der Krieg ist mit Putins brutalem Angriff gegen die Ukraine nach Europa zurückgekehrt. Damit hat sich die Bedrohungslage verändert«, behauptete Pistorius. Dabei wird unterschlagen, dass NATO und Bundeswehr schon 1999 auf dem Balkan aktiv daran beteiligt waren, den Krieg nach Europa zurückkehren zu lassen. »Die Russische Föderation bleibt ohne einen fundamentalen inneren Wandel dauerhaft die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum«, formulieren die Autoren. Aber auch auf andere, meist vom Westen angeheizte Kriege und Krisen wird verwiesen. Die »internationale Ordnung« werde rund um den Globus angegriffen. Und darum brauche es eine Bundeswehr »mit neuen Fähigkeiten und den Kapazitäten, neue Aufgaben zu übernehmen«.
Auch der als Gast auf der Tagung anwesende Befehlshaber der litauischen Streitkräfte, General Valdemaras Rupšys, mahnte: »Damit wir auf einen künftigen, großangelegten Krieg vorbereitet sind, müssen wir uns anpassen, wir müssen uns ändern.«
Für CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter geht die Aufrüstung natürlich nicht schnell genug. So sinnvoll und richtig der Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung sei, so problematisch sei es, »dass mittlerweile fast zwei Jahre vergeudet wurden und es in der Realität der Koalition keinerlei Ansätze gibt, die Zeitenwende tatsächlich in den Streitkräften umzusetzen«, lamentierte er am Freitag gegenüber den Funke-Zeitungen.
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Da sind es zum einen drei Sätze unseres Verteidigungsministers, Boris »Pistolerius«, der sein Ministerium in Kriegsministerium umtaufen will. Seine Begründung: »Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.« Der Verteidgungs-, sorry Kriegsminister hat wohl vergessen, dem Adjektiv »kriegstüchtig« ein ░und kriegsüchtig« hinzuzufügen. Höchste Zeit also, einen Paragraphen unter der Bezeichnung »Wehrkraftzersetzung« ins Gesetz einzufügen. Hatten wir früher schon mal. Aber wenn ein »Veteranentag« im Andenken an »Wehrmachtshelden« eingerichtet werden soll, würde es doch ins Bild passen.
Der zweite Vorschlag bezieht sich auf den Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuchs. Nach Meinung des Rechtsausschusses müssen »wegen der Einzigartigkeit des Holocausts dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung … höhere Strafen möglich sein als für vergleichende Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen«. Hier wäre zu ergänzen, dass Vergleiche mit Putin (schlimmer als oder gleich Hitler) oder Hamas (schlimmere Nazis als SS) weder den Tatbestand der Verharmlosung, noch den einer Relativierung des Holocausts erfüllen. Ich bin sicher, dass die sonst so um die Einzigartigkeit des Völkermords besorgte Regierung in Tel Aviv mit dieser Ausnahmeregelung kein Problem hat. Carl Lauterbach, Gesundheitsminister, Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg, Jan Fleischhauer vom Focus u. a. dürfen weiter ungestraft der widerwärtigen Erzählung des britischen Autors Douglas Murray zujubeln.