Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 09.11.2023, Seite 8 / Ausland
Landarbeiter in Lateinamerika

»Dies ist der Kampf des ganzen Volkes«

Guatemala: Landarbeiterorganisation setzt sich seit 45 Jahren für die Rechte der ländlichen Bevölkerung ein. Gespräch mit Rafael Gonzáles
Interview: Thorben Austen, Guatemala-Stadt
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Seit Wochen legen Demonstranten aus Protest gegen die Generalstaatsanwaltschaft immer wieder Teile des Landes lahm (Guatemala-Stadt, 4.11.2023)

Wie unterstützt Ihre Organisation Comité de Unidad Campesina CUC (Komitee für Bauerneinheit, jW) aktuell die Proteste für den Rücktritt der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und anderer, denen vorgeworfen wird, den Amtsantritt des Sozialdemokraten Bernardo Arévalo verhindern zu wollen?

Wir unterstützen das Protestcamp hier in der Hauptstadt, waren bei den Demonstrationen am 20. Oktober zum Jahrestag der Revolution von 1944 präsent und haben die Straßenblockaden unterstützt. Ende Oktober hatten wir organisationsintern ein Treffen, auf dem wir die Situation analysiert haben. Wir denken, es muss noch ein bisschen deutlicher gemacht werden, dass dies der Kampf des ganzen Volkes ist, kein Kampf nur in Unterstützung der 48 Kantone.

Ihre Organisation ist die älteste Landarbeiterorganisation in Guatemala, gegründet mitten im Bürgerkrieg. Wie kam es dazu?

Die Gründung unserer Organisation erfolgte am 15. April 1978, vorausgegangen waren Diskussionen in den Gemeinden auf dem Land. Nur zwei Wochen später, am 1. Mai 1978, konnten wir mit einer großen Mobilisierung gemeinsam mit den Gewerkschaften in der Hauptstadt Guatemala-Stadt ein erstes Zeichen setzen. Im Januar 1980 kam es dann zu dem Vorfall in der spanischen Botschaft in der Hauptstadt: Unsere Organisation hatte friedlich und unbewaffnet die Botschaft besetzt, die Polizei griff an, setzte das Gebäude in Brand, 37 Menschen starben. Unter ihnen auch mein Bruder sowie Vicente Menchú, Vater der späteren Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Ein Landarbeiter überlebte das Massaker. Er wurde kurz darauf aus dem Krankenhaus entführt und ermordet. Auch danach nahm die Repression zu. Unsere Organisation wurde hart getroffen und konnte sich erst etwa ab 1985, mit den ersten Wahlen und einer neuen Verfassung, reorganisieren, obwohl der Krieg noch bis 1996 weiterging (die Jahre 1982 und 1983 gehörten mit zahlreichen Massakern zu den blutigsten des Bürgerkrieges, jW).

Konnten Sie in dieser Zeit auch politische Erfolge verbuchen?

Ja, wir konnten während des grossen Streiks auf den Fincas 1980, im selben Jahr wie dem des Massakers in der spanischen Botschaft, eine Erhöhung des Tageslohns auf 3,20 Quetzales (ein Quetzal entsprach damals einem Dollar, jW) durchsetzen, in späteren Streiks zehn Quetzales Tageslohn. Heute gibt es auf den Fincas kein festes Gehalt sondern etwa 95 Quetzales Tageslohn (nach aktuellem Kurs etwa 11 Euro, jW), oft wird aber auch nach »Leistung« bezahlt, Frauen und Kinder erhalten weniger Gehalt.

Da muss ich kurz nachfragen: Kinderarbeit gibt es weiterhin auf den Fincas? Nach guatemaltekischem Recht ist diese verboten.

Ja, gerade zur Erntezeit gehen ganze Familien auf die Fincas zum Arbeiten. Wie ich sagte, wird oft kein fester Lohn gezahlt, sondern die geerntete Menge wird bezahlt.

Erfahren Sie weiterhin Repression? Der Bürgerkrieg ist ja zu Ende, und Guatemala gilt heute als demokratisches Land.

Die Repression und Kriminalisierung sind weiterhin sehr ausgeprägt, vor allem im Zusammenhang mit Landraub und Vertreibungen, der ganzen Frage der ungerechten Landverteilung. Gerade der Norden das Landes ist betroffen, manche Landkreise besonders schwer, wie El Estor im Departamento Izabal.

Hängt dies mit der dortigen Nickelmine zusammen?

Es gibt Repression im Zusammenhang mit der Mine. Aber in erster Linie im Konflikt um den Anbau von Ölpalmen. Um die Plantagen zu erweitern, kommt es immer wieder zu Vertreibungen und Landraub. Aktuell sitzen dort aus zwei Gemeinden insgesamt 16 Personen in Haft oder werden kriminalisiert. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, Palmölplantagen in Brand gesteckt zu haben. Wir haben aktuell vier Anwälte, die uns juristisch helfen. Ohne die Unterstützung wäre es noch viel schwerer.

Rafael Gonzáles ist Verantwortlicher für Agrarfragen des Komitees für Bauerneinheit (CUC), der ­ältesten kleinbäuerlichen Organisation ­Guatemalas

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