Aufstand der Apotheker
Von Gudrun Giese
In Norddeutschland blieben am Mittwoch zahlreiche Apotheken geschlossen. Zum wiederholten Mal innerhalb weniger Monate hatten die Apothekerverbände zum Protest gegen die Missstände bei der Arzneimittelversorgung aufgerufen. Es hapere an einer sicheren Belieferung mit wichtigen Medikamenten, kritisierte Berend Groeneveld vom Landesapothekerverband Niedersachsen laut NDR. Es bestünden Lieferengpässe, es fehle Personal, und die Honorare seien seit zwanzig Jahren nicht mehr erhöht worden. »Wenn die Politik jetzt nicht tätig wird, wird der Rückgang der Apotheken sich weiter beschleunigen«, sagte Groeneveld. Es müsse nicht nur mehr Geld geben. Dringend erforderlich sei auch der »Bürokratieabbau« in diesem Sektor.
Seit Monaten bringt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit seinen Vorschlägen zu »Reformen« im Gesundheitswesen Verbandsvertreter, Beschäftigte und Patienten gegen sich auf. So hatten sich Apotheker-, Ärzte- und Zahnärzteschaft Ende Oktober in einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt, in dem sie sich gegen Lauterbachs Ideen wandten und forderten, Scholz möge sich für die freien Heilberufe einsetzen. Die zunehmenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln beträfen mittlerweile fast jedes zweite Rezept, hieß es in dem Brief. »Hinzu kommt, dass die zusätzlichen Mühen und Aufwendungen der Apothekenteams in der Engpasskrise nahezu gar nicht vergütet werden.« Lauterbach setze mit seiner Politik die mittelständische freiberufliche Struktur im Gesundheitswesen aufs Spiel, »die für rund eine Million wohnortnahe Arbeitsplätze steht und einen – gerade in diesen Krisenzeiten – so wichtigen Stabilitätsfaktor bildet«. Die derzeitige Gesundheitspolitik führe zu permanenten Leistungskürzungen, die »vertraute ambulante Versorgung, die die Praxen und Apotheken derzeit noch stemmen«, werde zerstört.
Der Protesttag der Apotheken am Mittwoch fand in Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein statt. In diesen Bundesländern konnten Kunden Medikamente nur in Notdienstapotheken erwerben, berichtete der NDR. Der Protest habe eine neue Stufe erreicht, befand Hans-Günter Lund, der Vorsitzende des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. »Die Politik zerstört das System Apotheke«, sagte Lund, der den Berufsstand wegen der falsch gelenkten Geldströme und Lieferengpässe bedroht sieht. Er forderte unter anderem eine Anpassung des Apothekenzuschlags in der Arzneimittelpreisverordnung, auch, um die gestiegenen Energiepreise auszugleichen.
Die Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Mecklenburg-Vorpommern, Angelika von Schütz, erklärte in einer gemeinsam mit dem regionalen Apothekenverband veröffentlichten Mitteilung, dass der Zeitpunkt zum Aufwachen für die Politik gekommen sei. »Die Kolleginnen und Kollegen und vor allem auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind erschöpft und ausgebrannt, wütend und enttäuscht.« Die Landesregierung und auch Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern sollten sich stärker für die Vertreter der Gesundheitsberufe einsetzen. »Wir erwarten ganz einfach, dass man uns mit einbezieht – gar nicht unbedingt als Entscheider, aber als Berater«, so von Schütz. Anderenfalls drohe ein »Gesundheitskollaps« in dem ländlich geprägten Bundesland.
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