»Erwirtschaften von Rendite muss unmöglich sein«
Interview: Gitta Düperthal
Das Kliniksterben hört nicht auf. Das »Transparenzgesetz« von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, das Ende Oktober den Bundestag passierte, gießt offenbar noch Öl ins Feuer. Wie dramatisch ist die Lage?
Einem Drittel der Krankenhäuser droht das Aus. Es gibt Rekordzahlen von Kliniken in den roten Zahlen und Insolvenzen. Der Gesundheitsminister verschärft weiter, weigert sich Finanzmittel bereitzustellen, um Kosten der gestiegenen Inflation auszugleichen. Einige Krankenhäuser verhandeln mit Krankenkassen noch über die Pflegebudgets von 2020 und 2021. Weil die das Geld zurückhalten, müssen Kliniken ihre Konten überziehen, um Gehälter weiter zahlen zu können. Lauterbach behauptet, man müsse nur die Umsetzung der gesetzlichen Reform abwarten. Das ist Unfug. Denn auch die sieht vor, viele Krankenhäuser auf einen Schlag zu schließen. Jetzt schließen sie, weil sie die Kosten nicht leisten können; wenn aber die Reform kommt, dann um angeblich die Qualität zu verbessern. So kolportiert es der Minister.
Ihr Verein sucht dringend Klinikretterinnen und -retter. Gelingt es Ihnen?
Ja. Viele Menschen merken jetzt schon, was Krankenhausschließungen vor Ort für sie bedeuten. Weil die Reform kommt, berichten Medien zum Thema. Wir erhalten Anfragen, Vorträge zu halten. Das hilft uns, zu mobilisieren. Ende September hat unser »Bündnis Klinikrettung«, in dem etwa 20 Organisationen aktiv sind, Strategien festgelegt. Das Transparenzgesetz ist zwar nicht zustimmungspflichtig, aber die Länder können am 24. November, wenn der Bundesrat tagt, Einspruch dagegen erheben. Der Bundestag müsste dann das Gesetz aufheben. Wir appellieren an die Länder, tätig zu werden. Schließlich müssen sie festlegen, welche Kliniken so eingestuft werden, dass sie schließen müssen.
Sogenannte Level-eins-Krankenhäuser nehmen nicht an der Notfallversorgung teil, heißt es. Lauterbachs Gesetz benennt den Begriff »Level«, der zu Protesten führte, geschickt in »sektorenübergreifende Versorger« um. Damit wird vernebelt, welche Krankenhäuser mutmaßlich geschlossen werden. Bei Anhörungen zum »Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz«, das weiterhin ansteht, werden wir versuchen, Einfluss zu nehmen: Wir brauchen keine Einführung von Leistungsgruppen und keine Vorhaltepauschale, sondern eine Selbstkostendeckung und demokratische Strukturen, um die Entscheidungen in den Kliniken zu treffen. Das Erwirtschaften einer Rendite muss verunmöglicht werden. Ein solches Verbot ist aber kein Thema für die Regierung!
Wie kann »aktiver und breiter Widerstand vor Ort« dagegen, von dem Ihr Verein spricht, aussehen? Könnte die Bevölkerung eine Klinik aufkaufen?
Weil die Klinikversorgung eine kommunale öffentliche Aufgabe ist, halten wir wenig von einer genossenschaftlichen Organisierung. Allerdings finden wir es sinnvoll, Kliniksyndikate zu bilden, damit Beschäftigte und Menschen vor Ort größere Mitsprache haben – und nicht etwa sogenannte Wirtschaftsberater und Wirtschaftsprüfer ihre rein ökonomisch begründeten Guthaben aufstellen. Es muss um die Bedarfe gehen.
Wir werden zu bundesweiten Aktionen in Berlin einladen, informieren und vernetzen. Wir rufen dazu auf, parlamentarische Anfragen anzustoßen und vor Ort gegen Schließungen zu protestieren. Man erkennt sie im Vorfeld: Stellen werden nicht neu besetzt, einzelne Abteilungen geschlossen. Es ist keine Einzelentscheidung, ein Krankenhaus zu schließen, weil es etwa schlecht gewirtschaftet hat. Das hat System.
Müsste der Widerstand radikaler werden, um zu verhindern, dass Anleger, die für ihr Kapital hohe Rendite im Gesundheitswesen suchen, sich durchsetzen? Sollte man eine Klinik besetzen?
Wir rufen nicht zu Aktionen zivilen Ungehorsams auf, sondern zu Versammlungen oder Mahnwachen, zusammen mit den Beschäftigten. Belegschaften, Betriebs- und Personalräte wissen oft eher, was vor sich geht. Tut sich etwas in Richtung Schließung, braucht es schnelle Aufmerksamkeit. Wir begrüßen alle Formen des Widerstands, zu denen die Menschen vor Ort greifen. Wir müssen jetzt, vor Umsetzung der Reform, agieren. Danach wird es zu spät sein.
Laura Valentukeviciute ist Geschäftsführerin von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V. und Sprecherin des »Bündnisses Klinikrettung«
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