Notfallplan im Libanon
Von Karin Leukefeld
Der Libanon wird auf einen Krieg vorbereitet. Die Hisbollah, der islamische Widerstand im Süden des Landes, setzt die israelische Armee mit gezielten Angriffen auf deren militärische und Überwachungsinfrastruktur südlich der Waffenstillstandslinie unter Druck. Diese »Blaue Linie« wird seit dem Jahr 2000 von den Vereinten Nationen mit Hilfe der UN-Friedenstruppe für den Libanon (UNIFIL) kontrolliert.
49 Kämpfer der Hisbollah sind bei der Operation »Straße nach Jerusalem« seit Mitte Oktober getötet worden. Am Freitag wird der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, bei einer Trauerfeier für die gefallenen Kämpfer der Organisation sprechen. Die Zahl der getöteten israelischen Soldaten ist unklar. Israels Armee greift mit Artillerie, Drohnen und Kampfjets an, der Versuch einer Militäreinheit, auf libanesisches Gebiet vorzudringen, wurde zurückgeschlagen. Der Ort Dhaira wenige Kilometer östlich von Ras Al-Nakura wurde wie Alma Al-Schaab mehrfach von Israel beschossen. Dabei wurden gezielt Wälder und landwirtschaftlich genutztes Land wie Olivenhaine, Gärten und Weinstöcke in Brand gesetzt.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete am Dienstag, dass die israelische Armee bei den Angriffen auf den südlichen Libanon auch Weißen Phosphor einsetze. Zahlreiche Menschen seien mit schweren Verbrennungen in Krankenhäuser eingewiesen worden, erklärte die Regionalbeauftragte der Organisation, Aja Madschsub. Nach dem internationalen humanitären und Kriegsrecht ist der Einsatz von Weißem Phosphor in bewohnten Gebieten und gegen die Zivilbevölkerung verboten. Die Regierung prüft eine Beschwerde beim UN-Sicherheitsrat gegen den Einsatz dieses Kampfstoffs.
Die Interimsregierung unter Ministerpräsident Nadschib Mikati hat einen nationalen Notfallplan aufgelegt, um im Falle eines Krieges die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Der Plan, der mit dem UN-Sonderbeauftragten für den Libanon und Koordinator für humanitäre Angelegenheiten, Imran Riza, besprochen wurde, orientiert sich Berichten zufolge an den Erfahrungen des letzten Krieges mit Israel 2006. Konkret geht es um die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, Strom, Öl, um Kommunikation und die Einrichtung von Schulen als Notunterkünfte. Durch den Interimsstatus seien die Befugnisse der Regierung aber stark eingeschränkt, bemerkte die Tageszeitung Al-Akhbar. De facto werde der Libanon im Falle eines Krieges unter die Aufsicht von UN- und anderen internationalen Hilfsorganisationen gestellt, insgesamt zehn an der Zahl. Den Angaben zufolge soll die medizinische Versorgung für zwei Monate gesichert sein.
Europäische und US-amerikanische Diplomaten und Regierungsvertreter geben sich derweil in Beirut die Klinken in die Hand. Delegationen aus europäischen, lateinamerikanischen und nordischen Ländern sprachen im Außenministerium, bei der Armeeführung und anderen Einsatzkräften vor, auch der russische Botschafter sowie ein Emissär des Vatikans gehörten zu den Gästen des libanesischen Außenministers. Verschiedene Länder, darunter Kanada und die BRD, haben beantragt, eigene Truppenverbände ins Land zu bringen. Derzeit sind 140 Bundeswehr-Soldaten im Rahmen verschiedener internationaler Missionen im Libanon und im östlichen Mittelmeerraum stationiert. Zusätzlich hat die Bundesregierung Spezialkräfte nach Zypern eingeflogen, die Berichten zufolge bei der Befreiung von Gefangenen im Gazastreifen helfen könnten. Unbestätigt ist, ob auch Krisenreaktionskräfte (KSK) auf der Mittelmeerinsel stationiert sind. Unklar ist, ob die Bundesregierung zusätzliches Militär zum Schutz der eigenen Truppen im Libanon abkommandieren will.
Das Auswärtige Amt wies am 20. Oktober in einer Erklärung darauf hin, dass in Koordination mit dem Bundesverteidigungsministerium an einem »Plan für den Einsatz von Sondereinsatzkräften für Evakuierungsoperationen« gearbeitet werde. Es handele sich um »Vorbereitungsmaßnahmen«, so die Erklärung. Für dieses Stadium der Bereitschaft sei ein Mandat des Bundestages nicht erforderlich.
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