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Aus: Ausgabe vom 31.10.2023, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Griechenland

»Werden Fabrik verteidigen«

Investor will selbstverwaltete Seifenfabrik Viome in Thessaloniki plattmachen. Arbeiter wehren sich
Von Björn Brunner, Athen
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»Wir werden weiter produzieren«: Viome-Arbeiter in Thessaloniki

»Wir konnten uns lange vor einer Räumung relativ sicher fühlen. Aber in diesem Sommer, im Juni, wurde ein Teil unseres Geländes an einen Investor versteigert.« Das erzählt Kostas Charitakis im Gespräch mit jW über die aktuell schwierige Situation der selbstverwalteten Seifenfabrik Viome in Thessaloniki. Charitakis arbeitet bei Viome und wirkt beim Treffen in Athen sichtlich angespannt: »Letzte Woche waren wieder Bautrupps mit der Polizei da und haben einen Zaun um eines der Betriebsgebäude gezogen«, berichtet er. Die Produktion sei zwar schon in ein anderes Gebäude verlegt worden, aber nun sei der Zugang zum Gelände gefährdet.

In der ehemaligen Baustoffabrik in Thessaloniki wurden bis 2011 Fliesenkleber für die Bauindustrie hergestellt. Doch im Zuge der Finanzkrise geriet das Unternehmen in Schwierigkeiten. Das bekamen vor allem die Beschäftigten zu spüren. »Die Kollegen beschlossen zu streiken, das mussten sie, weil sie mehrere Monate keinen Lohn bekamen«, erinnert sich Charitakis. Die alten Eigentümer machten sich daraufhin aus dem Staub, und nach einigem Hin und Her entschied sich die Belegschaft 2011, die Produktion selbst in die Hand zu nehmen. Doch Fliesenkleber war nicht mehr gefragt. Mit solidarischen Unterstützern aus der Bevölkerung, zu denen damals auch Charitakis gehörte, wurde der Plan gefasst, ökologische Reinigungsmittel wie Seife zu produzieren, die dann von der Bevölkerung direkt in der Fabrik gekauft werden konnten. So wurde das neue Unternehmen Viome auf genossenschaftlicher Basis gegründet.

In dem neuen Unternehmen wurden flache Hierarchien eingeführt, Direktorenposten abgeschafft, und jeder Arbeiter wurde gleich entlohnt. Alle Entscheidungen wurden gemeinsam von der Vollversammlung der Beschäftigten getroffen. Außerdem öffneten die Arbeiter das Werksgelände für die Öffentlichkeit. So wurden zeitweise Hilfsgüter für Geflüchtete gesammelt, und es finden immer noch regelmäßig kulturelle Veranstaltungen wie Festivals statt.

Die insolvente Muttergesellschaft wurde inzwischen liquidiert. Zur Konkursmasse gehörten auch die Grundstücke und das Inventar von Viome. Sie sollten versteigert werden. Doch Beschäftigte und Unterstützer verhinderten dies über mehrere Jahre, indem sie die zunächst physisch stattfindenden Gerichtstermine kurzerhand blockierten. Das schreckte Investoren ab. Zudem hatten die Vorbesitzer Abgaben und Steuern hinterzogen, weshalb der Staat zumindest eines der beiden Betriebsgebäude für die Versteigerung sperren ließ und vorerst keine Räumung zu befürchten war.

Dies war bis zu einer Gesetzesänderung unter der damaligen Syriza-Regierung der Fall. Dann aber wurde die digitale Abwicklung der Gerichtsverhandlungen erlaubt, und es war nicht mehr möglich, die Versteigerung zu blockieren. Das ehemalige Produktionsgebäude ging an einen südafrikanischen Investor, der dort ein Einkaufszentrum errichten möchte. Die Belegschaft ließ sich nicht unterkriegen und verlagerte die Produktion in das zweite Gebäude, die ehemalige Lagerhalle, die zumindest vorerst vom Staat übernommen wurde. Die Produktion lief weiter.

Im September wollte der Investor nun aber Fakten schaffen und schickte erstmals Bautrupps, um das ehemalige Produktionsgelände einzuzäunen. Weil das für Viome gravierende Folgen hätte – die Zufahrtsstraße zum Werk wäre blockiert –, machten die Arbeiter und ihre Unterstützer den Bautrupps klar, dass der Zaun nicht lange stehen würde und dass sie das Gebäude nicht verlassen würden, solange nicht geklärt sei, wie der Zugang zu ihrem Arbeitsplatz gesichert bleibe. Sie forderten Verhandlungen mit dem Investor. Anfang Oktober rückten die neuen Eigentümer erneut mit den Bautrupps an – diesmal mit Verstärkung der Polizei, die das Gelände abriegelte –, die den Zaun errichteten.

Die Arbeiter von Viome bleiben dennoch optimistisch, dass sie ihr Gemeinschaftsprojekt fortsetzen können. »Wir werden weiter produzieren und unseren Zugang zur Fabrik verteidigen«, kündigte Charitakis an.

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