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Aus: Ausgabe vom 31.10.2023, Seite 7 / Ausland
Israel

Krieg rechnet sich nicht

Israels Besatzungspolitik und Militäroffensiven gegen Palästina kosten Milliarden. Wirtschaft war schon vor jüngster Eskalation am Boden
Von Shir Hever
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Seit dem 7. Oktober hat Israel 4.000 Arbeiter aus dem Gazastreifen und mehr als 1.000 Menschen im besetzten Westjordanland verhaftet

Ist die israelische Okkupation palästinensischen Gebiets profitabel? In meinem Buch »Die politische Ökonomie der israelischen Besatzung« komme ich zu einer eindeutigen Antwort: Krieg und Besatzung sind keineswegs profitabel für Israel. Der palästinensische Widerstand wird von den israelischen Behörden brutal unterdrückt. Dies geht mit erheblichen Kosten einher, die in die Milliarden gehen. Die kostspieligste Maßnahme der Unterdrückung ist die Inhaftierung. Israel hält Tausende palästinensische politische Gefangene auf seinem Territorium fest, was gegen die vierte Genfer Konvention verstößt und das Recht auf Familienbesuche gefährdet. Viele sind Administrativinhaftierte, die nicht einmal strafrechtlich angeklagt sind und keine Möglichkeit haben, sich zu verteidigen oder zu erfahren, wessen sie beschuldigt werden. 40 Prozent der Palästinenser, darunter viele Frauen und Minderjährige, waren mindestens einmal in ihrem Leben in israelischer Haft. Die Kosten dieser Masseninhaftierung belaufen sich seit 1967 auf über 100 Milliarden Euro (einschließlich Zinsen und Inflation). Für den Staat Israel entspricht dies nach meinen Berechnungen mehr als einem Drittel der Besatzungskosten.

Israelische Ökonomen sind sich weitgehend einig darin, dass die rationale Wahl für die israelische Regierung darin bestehen müsse, die Besatzung zu beenden, und dass Frieden die israelische Wirtschaft ankurbeln würde. Eine rationale Reaktion auf den Angriff vom 7. Oktober von israelischer Seite wäre, so schnell wie möglich eine Vereinbarung für einen Gefangenenaustausch zu treffen. Die israelischen Familien der Geiseln wollen ihre Angehörigen zurück, ebenso die palästinensischen Familien. Ökonomen vergessen aber oft, dass Menschen nicht rational sind.

In den drei Wochen seit Beginn der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen, bei denen über 8.000 Menschen getötet wurden, darunter fast ausschließlich wehrlose Zivilisten und 3.000 Kinder, waren israelische Soldaten auch im besetzten Westjordanland damit beschäftigt, immer mehr Menschen festzunehmen, wodurch sich die Zahl der Gefangenen in israelischen Gefängnissen auf über 10.000 verdoppelt hat. Etwa die Hälfte von ihnen befindet sich in Administrativhaft ohne jegliche Rechte. Die Regierung genehmigte eine Sonderregelung, die erlaubt, Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen auf dem Boden schlafen zu lassen.

Die israelische Wirtschaft war bereits vor Beginn des Krieges auf dem Tiefpunkt. Internationale Unternehmen wurden durch die »Justizreform« der extrem rechten Regierung abgeschreckt und zogen ihre Investitionen ab, während talentierte und gut ausgebildete Israelis das Land bereits in großer Zahl verlassen hatten. Als Premier Benjamin Netanjahu den Krieg gegen den Gazastreifen erklärte und das Militär eine Kampagne des systematischen Hungers und Tötens im überfüllten und belagerten Gazastreifen begann, senkten internationale Kredit­agenturen Israels Bonitätsbewertung, der Wert des Schekel brach ein, und die öffentlichen Dienstleistungen Israels (Gesundheits-, Bildungswesen, Verkehr und Finanzsysteme) wurden lahmgelegt. Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte vergangenen Mittwoch, der Haushaltsplan des Landes für die Jahre 2023 bis 2024 sei aufgrund des Krieges »nicht mehr relevant« und werde geändert. Er fügte hinzu, dass der Krieg Israel täglich 246 Millionen US-Dollar koste.

Internationale Rüstungsunternehmen, hauptsächlich in den USA, verzeichnen einen Anstieg der Aktienpreise in der Erwartung großer Waffenkäufe der israelischen Armee, mit noch mehr Gewinnpotential, wenn der Krieg auf das Westjordanland, den Libanon und möglicherweise auf Syrien und den Jemen ausgedehnt wird. Diese Gewinne sind nicht nur unmoralisch und zynisch, sondern auch kurzsichtig, da die israelische Bodeninvasion des Gazastreifens nicht nur einen Funken darstellt, der den gesamten Nahen Osten wieder in den Krieg ziehen könnte, sondern auch langanhaltende Auswirkungen auf die Geopolitik der Region haben wird. Israel ist nicht mehr in der Lage, als koloniales Bollwerk des westlichen Imperialismus im Nahen Osten zu funktionieren.

Der aus Israel stammende Wirtschaftswissenschaftler Shir Hever ist Vorstandsmitglied der »Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«

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  • Leserbrief von Jürgen Unland aus Berlin (31. Oktober 2023 um 17:23 Uhr)
    Sehr geehrter Herr Hever, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihr Konzept erläutern könnten, wie nach dem 07. Oktober durch ein Ende der Besatzung ein Frieden etabliert werden kann, der auch das Leben von Juden in Palästina garantiert.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jürgen Unland

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