Geiseln gegen Gefangene
Von Ina Sembdner
Am Montag haben die Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, ein Video veröffentlicht, auf dem nach Angaben der Gruppe Gefangene zu sehen sind, die im Gazastreifen festgehalten werden. Eine der drei in dem Video gefilmten Frauen wendet sich an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und wirft ihm vor, einen Waffenstillstand mit der Hamas abzulehnen, der ihre Freilassung ermöglichen würde. »Vorgestern gab es Gespräche über einen Waffenstillstand und die Freilassung aller, aber Netanjahu hat einen Rückzieher gemacht«, erklärte sie laut der Nachrichtenseite Middleasteye auf Hebräisch. »Netanjahu hat politisch und militärisch versagt, und wir fordern die sofortige Rückgabe aller Gefangenen«, sagte sie weiter, »jetzt, jetzt, jetzt«. Das online verbreitete Video konnte bis jW-Redaktionsschluss nicht verifiziert werden. Laut israelischer Armee befinden sich nach neuestem Stand 239 Geiseln in palästinensischer Hand. Nach früheren Angaben haben mehr als die Hälfte von ihnen Pässe aus 25 verschiedenen Ländern. Angenommen wird, dass viele davon auch die israelische Staatsbürgerschaft haben.
Am Sonnabend hatte ein Sprecher der Al-Kassam-Brigaden erklärt, man habe kurz vor einer Einigung mit Israel über die festgehaltenen Geiseln gestanden. Israel hätte diese Möglichkeit jedoch »blockiert«, sagte Abu Ubaida in einer Videoansprache. Er betonte darin, dass die Geiseln nur freigelassen würden, wenn im Gegenzug alle von Israel inhaftierten Palästinenser freikämen. Er zeigte sich jedoch auch offen für Gespräche über eine »teilweise« Einigung. Wenig später folgte am Samstag abend eine Erklärung des Hamas-Anführers in Gaza, Yahya Sinwar, der ebenfalls erklärte, man sei zur Übergabe der Geiseln im Austausch für die Freilassung »all unserer Gefangenen in euren Gefängnissen« bereit. Es war seine erste Erklärung seit der von der Hamas angeführten militärische Offensive gegen Israel am 7. Oktober, bei der nach israelischen Angaben 1.400 Menschen getötet und die 239 Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Vier von ihnen sind bislang freigelassen worden.
Der Sprecher der israelischen Streitkräfte, Daniel Hagari, verurteilte die Erklärung im Anschluss als »Psychoterror, der von der Hamas zynisch eingesetzt wird, um Druck zu erzeugen«. Hagari sagte, Sinwar könne keine Erklärungen abgeben, »er spricht über Mittelsmänner«, fügte er hinzu. »Die Hamas kommuniziert nicht direkt mit Israel, und wir werden alle Bemühungen – sowohl zivile als auch geheimdienstliche – fortsetzen, um die Geiseln zurückzuholen.« Reuters meldete währenddessen, dass die von Katar vermittelten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas auch am Sonnabend fortgesetzt wurden. Die Hamas unterhält ein politisches Büro in dem Golfstaat. Unter Berufung auf eine mit den Verhandlungen vertraute Quelle, die anonym bleiben wollte, hieß es, die Gespräche seien nicht gescheitert, würden aber in einem »viel langsameren Tempo« als vor der Eskalation vom Freitag abend stattfinden. Mit Katars Hilfe waren die ersten beiden Geiseln – US-Staatsbürger – vor anderthalb Wochen freigekommen.
Premierminister Benjamin Netanjahu sagte bei einer Pressekonferenz – auf die Hamas-Erklärungen angesprochen –, dass die Angelegenheit im Kabinett erörtert worden sei, er ziehe es aber vor, nicht weiter darauf einzugehen. Sein Verteidigungsminister Joaw Gallant sprach gegenüber Angehörigen der Geiseln am Sonntag ebenfalls von »psychologischen Spielchen« und wies die Forderungen einiger Familien laut Times of Israel zurück, die das »angebliche Angebot« annehmen wollten. »Wenn es keinen militärischen Druck auf die Hamas gibt, wird es keine Fortschritte geben«, so Gallant.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Robert S. aus Berlin (31. Oktober 2023 um 09:34 Uhr)Die HAMAS hat ihren Anspruch als palästinensische Befreiungsorganisation schon lange verwirkt. Sie ist nichts anderes, als eine islam-faschistische Mörderbande, die nicht nur über 230 Geiseln (Frauen, Kinder, alte Menschen) entführt, sondern auch 1400 Menschen bestialisch umgebracht haben. Nun wollen sie Verhandeln, aber die Israelis spielen nicht so mit. Also sind die dann Schuld an dem, was mit den Geiseln passiert. Sorry, aber mich überkommt eine gewisse Übelkeit. Sollte es in der HAMAS nur noch etwas Menschlichkeit vorhanden sein, sind die Geiseln sofort und bedingungslos frei zulassen. Was den israelischen Terror gegen GAZA anbelangt, brauch ich hier keine langen Ausführungen machen. Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch die Verbrechen der einen Seite, rechtfertigen nicht die, der anderen. Hat auch etwas mit zivilisatorischen Errungenschaften zu tun. Noch eine kleine Anmerkung: Das HAMAS-Vertreter in Russland hofiert werden, spricht auch nicht gerade für moralische Kompetenz der russischen Regierung. Robert Skrzypczak, Berlin
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