Deutsches in Afrika
Von Arnold Schölzel
Seit Jahrzehnten dümpelt der Anteil Afrikas am deutschen Außenhandel bei gut zwei Prozent. Fürs erste Halbjahr 2023 lauten die Ziffern: Umfang der Einfuhren und Ausfuhren insgesamt knapp 1,5 Billionen Euro, davon entfallen auf Afrika 31,8 Milliarden Euro. Eine Folge: Der Kontinent bleibt hierzulande unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle bis auf die Furcht vor Migranten. Deren Tod im Mittelmeer oder im Atlantik hat die EU einigermaßen organisiert, es gibt aber zu viele Überlebende, die zum Beispiel in der BRD als »ausreisepflichtig« gelten. Gleichzeitig hängen China und andere BRICS-Staaten die Europäer in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ab.
Bekämpfung von Migranten steht jedenfalls bei Afrikabesuchen deutscher Repräsentanten ganz oben auf der Tagesordnung. Am Montag besuchte zum Beispiel Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Migrationszentrum in der 20-Millionen-Metropole Lagos, um herauszubekommen, warum Nigeria wie so viele andere Staaten abgeschobene Migranten so spärlich »zurück«nimmt. Zur gleichen Zeit tüftelte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an Abkommen zum Umgang mit nützlichen und mit unnützen Migranten in Marokko. Die Monarchie fungiert als Störenfried für den Westen in der Afrikanischen Union und als kolonialer Unterdrücker der Westsahara – eine gute Grundlage für wertebasierte Gespräche.
Zu allem Überfluss brach am Montag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Tansania und Sambia auf – mit großer Wirtschaftsdelegation im Schlepptau. In »Deutsch-Ostafrika« hatten des Kaisers Henkertruppen zwischen 1905 und 1907 rund 300.000 Menschen, die sich im Maji-Maji-Aufstand gegen sie erhoben, umgebracht – einer der blutigsten Kolonialkriege überhaupt. Er ist deswegen im heutigen Deutschland unbekannt. Steinmeier will nun mit Nachfahren der damaligen Opfer sprechen, an der Ignoranz gegenüber deutschen Kolonialverbrechen dürfte sich wenig ändern. In Sambia war noch nie ein deutsches Staatsoberhaupt.
Faeser unterzeichnete am Montag in Rabat eine Absichtserklärung: mehr Arbeitsvisa gegen Kooperation bei »Rückführungen«. Auf die hatte selbst ein so verlässlicher westlicher Vorposten wie Marokko bisher keine Lust. Faeser behauptete in der marokkanischen Hauptstadt unverdrossen, »Rückführungen« seien nicht ihr einziges Anliegen. Dabei hatte das Bundeskabinett erst in der vergangenen Woche sozusagen unter AfD-Diktat ihre Vorlage beschlossen, mehr »Härte« bei Abschiebungen zu zeigen. Hatte Scholz so gefordert. Unter anderem wurde die Höchstdauer der Haft im Abschiebeknast von zehn auf 28 Tage verlängert.
Scholz befand am Montag das Migrationszentrum in Lagos, in das Abgeschobene eingewiesen werden, für gut und empfahl den Nigerianern, solche Zentren auszubauen. Scholz: »Dafür braucht es einige Vorbereitungen und Investitionen – auf beiden Seiten.« Darüber habe er am Sonntag mit dem nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu gesprochen. Rituell folgte auch von ihm: Neben einer erleichterten »Rückführung« müsse auch die Einwanderung von Fachkräften gefördert werden. Die Nigerianer zeigten sich nämlich bislang ähnlich bockig wie die Marokkaner.
Der Rest von Scholz’ Deklamationen galt vagen Aussichten auf Flüssigerdgas und Wasserstoff aus Nigeria. An diesem Dienstag wird er in Ghana erwartet. Beim Zwei-Prozent-Außenhandel wird es bleiben und beim einzigen Anliegen: Afrikaner raus.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Barbara W. aus Berlin (31. Oktober 2023 um 18:13 Uhr)Die Reisen der bundesdeutschen Politiker Olaf Scholz, Nancy Faeser und Frank-Walter Steinmeier sind meiner Meinung nach peinlich. Migranten, die es nach Deutschland geschafft haben und keine Bleibeperspektive haben, sollten ihnen zufolge abgeschoben werden. Sie bräuchte man nicht, denn man müsste sie ja erst als Fachkräfte ausbilden. Dafür will man Fachkräfte aus den gleichen Staaten nach Deutschland holen. Sie sind in ihren Staaten ja bereits ausgebildet worden. Könnte es sein, dass diese Fachkräfte den Staaten fehlen, in denen sie ausgebildet worden sind? Meint man, dass die Politiker der afrikanischen Staaten das nicht merken? Barbara Wolterstädt
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Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (31. Oktober 2023 um 08:29 Uhr)Kein deutsches Staatsoberhaupt in Sambia bisher? Doch, eines war da! Aus der DDR: Erich Honecker. Immerhin auch deutsch, wenn auch nicht neokolonial deutsch …
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael M. aus Berlin (1. November 2023 um 13:17 Uhr)Doch, schließlich war Gen. Honecker Saarländer.
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