Kohlekumpel fordern Entschädigung
Von Christian Selz, Kapstadt
Seit Kolonialzeiten war der Bergbau das hochprofitable Rückgrat der südafrikanischen Wirtschaft. Während der Apartheidära beruhte das System darauf, entrechtete schwarze Arbeiter unter gesundheitsschädlichen Bedingungen für Hungerlöhne auszubeuten, bis sie nicht mehr konnten. Anschließend wurden die zerschlissenen Menschen in nach Ethnien getrennte »Homelands« abgeschoben. Doch auch wenn die Lebensbedingungen an vielen Minen auch heute noch menschenunwürdig sind: Ganz so reibungslos funktioniert das Modell, das Konzerne und Aktionäre reich machte, im seit 1994 demokratischen Südafrika nicht mehr. Starke Gewerkschaften haben besseren Arbeitsschutz und höhere Löhne erkämpft. Und eine relativ progressive Gesetzgebung lässt diejenigen hoffen, die in den Stollen ihre Gesundheit ruiniert haben. Aktuelles Beispiel sind ehemalige Beschäftigte von Kohlegruben des Konzerns Anglo American, die wegen chronischer Lungenleiden nun per Sammelklage Entschädigungszahlungen verlangen.
Über den Fall informierte die Kanzlei Richard Spoor Inc am Dienstag in Johannesburg. Demnach richtet sich die bereits Mitte des Monats beim Obersten Gericht in der Hauptstadtprovinz Gauteng eingebrachte Klage gegen neun Tochterunternehmen der Anglo-American-Gruppe, die in Südafrika Kohlebergwerke betreiben. Im Zentrum der Klage steht der Vorwurf, die Unternehmen hätten ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten vernachlässigt und so die Erkrankungen verursacht. »Die wissen, dass wir dem Staub ausgesetzt sind, und sie hätten sehen müssen, dass wir krank waren, weil die medizinischen Tests das hätten zeigen müssen, aber sie haben nichts gesagt«, zitierte das Onlineportal Daily Maverick am Mittwoch eine bereits 2015 entlassene 48jährige Frau, die als Elektrikerin unter Tage gearbeitet hatte. Die Erkrankungen machten es den Betroffenen »sehr schwer zu atmen«, erklärte die Opferanwältin Chloe Hoffmann dem Medium. »Sie keuchen oft und können sich nur schwer bewegen, weil ihre Körper nicht ausreichend Sauerstoff aufnehmen.« Zudem sei die Behandlung der Lungenleiden kompliziert und teuer, weshalb sie für die in armen Verhältnissen lebenden ehemaligen Kumpel derzeit nicht bezahlbar sei.
Mit der Sammelklage sollen nun Entschädigungszahlungen sowohl für erkrankte ehemalige Bergarbeiter als auch für die Hinterbliebenen von an Lungenleiden verstorbenen Bergarbeitern eingefordert werden. Dass die Kumpel und deren Familien sich durchaus berechtigte Hoffnungen auf Kompensationsleistungen machen dürfen, dafür spricht ein ähnlicher Fall, in dem ebenfalls die Kanzlei Richard Spoor Inc 2019 nach jahrelangen Gerichtsprozessen ein Entschädigungspaket in Höhe von insgesamt fünf Milliarden Rand (250 Millionen Euro) ausgehandelt hatte. Seinerzeit richtete sich die entsprechende Sammelklage gegen sechs im Goldbergbau aktive Konzerne, darunter auch damals schon Anglo American. Möglich war der Erfolg, weil das Gericht nicht etwa der Argumentation der Konzerne folgte, wonach die Kumpel sich Lungenkrankheiten wie Tuberkulose auch anderweitig zugezogen haben könnten. Statt dessen kehrte es die Beweislast um und legte den Minenbetreibern den Nachweis auf, dass die Arbeitsbedingungen in ihren Schächten nicht gesundheitsschädlich waren – der selbstredend nicht erbracht werden konnte.
Das Beispiel der Kumpel aus den Goldminen muss den Kohlebergarbeitern zugleich aber auch Warnung sein. Denn nach der erfolgten Einigung dauerte es fast zwei Jahre, ehe der von den Konzernen eingesetzte Entschädigungsfonds erstmals Geld auszahlte, zunächst an lediglich sieben ehemalige Beschäftigte. Noch im September dieses Jahres berichtete der Johannesburger Radiosender 702 über zahlreiche Beschwerden darüber, dass Entschädigungen oft in zu geringem Umfang und nur nach langer Verzögerung überwiesen würden. Laut Kanzleichef Richard Spoor vergingen von der Antragstellung auf Entschädigung bis zur Auszahlung häufig sechs oder mehr Monate. Zudem verschlinge der Fonds derart hohe Verwaltungskosten, dass absehbar sei, dass die Kompensationssumme nicht für alle betroffenen Bergleute ausreichen werde.
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